Warum Wochentexte?
„Ich habe mich entschieden zu glauben, dass der Wunsch, kreativ zu sein, in meiner DNA verankert ist … Jedes Molekül meines Seins hat mich stets in diese Richtung gelenkt – hin zur Sprache, zur Erzählung, zur Recherche, zum Erzählen. … Und ich habe beschlossen, diesem Schicksal mit so viel guter Laune und so wenig Drama wie möglich zu begegnen.“
– Elizabeth Gilbert, amerikanische Autorin„Sprechen heißt, den Dingen eine Form geben“
– Maurice Merleau-Ponty (1908–1961), französischer Philosoph„Du solltest mehr fühlen, bevor du die Dinge in Worte fasst.“ – mehrere Freundinnen
Wenn du etwas benennen kannst, dann verstehst du es.
Das wurde uns beigebracht. Aber das stimmt nicht. Nicht wirklich. Worte sind wie Zäune. Sie versuchen, das Unfassbare einzusperren – Gefühle, Erinnerungen, Momente, die sich gar nicht fassen lassen. Wie sollen wir Unendlichkeit in eine Schublade stecken? Ich weiß nicht, was die Dinge wirklich sind. Ich weiß nur, was sie für mich bedeuten. Und selbst das verändert sich ständig.
Trotzdem rede und schreibe ich. Nicht, weil ich glaube, schon alles zu verstehen – sondern weil ich es versuche. Reden und Schreiben sind mein Weg, das Chaos zu sortieren. Ein Versuch, Schönheit oder Schmerz für einen winzigen Moment festzuhalten, bevor sie sich wieder verflüchtigen. Sprechen ist nicht bloßes Benennen, sondern ein aktiver, schöpferischer Akt, bei dem wir der Welt Bedeutung verleihen.
Wenn ein Gefühl zu groß wird, drängt es nach außen.
Schreibe ich es auf oder spreche es aus, wird es kleiner. Nicht unwichtig – aber tragbar. Ich kann es ansehen, statt davor wegzulaufen. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen Tagebuch führen: nicht um sich zu erinnern, sondern um sich selbst zu retten. Wort für Wort.
Schreiben ist für mich unvermeidlich – und zugleich etwas, das wir aktiv gestalten können. Elizabeth Gilbert schreibt, um sich selbst zu begreifen. Für Alain de Botton ist Schreiben ein praktisches Werkzeug, das hilft, Liebe, Schönheit und Unsicherheit zu verstehen – und das Leben leichter und sinnvoller zu gestalten. Ich rede und schreibe, um am Leben zu bleiben. Es ist mein Denken in Bewegung. Mein inneres Sortieren. Selbst wenn es niemand liest, tue ich es trotzdem.
Und wenn ich dann meinen Newsletter verschicke – mein Herz, meine Gedanken, mein Chaos – und jemand zurückschreibt: „Woher wusstest du, dass ich genau das gebraucht habe?“ … dann weiß ich: Ich bin nicht allein. Ich habe mich gesehen – und vielleicht hat sich jemand anderes darin wiedererkannt. Sicherlich heilt Schreiben nicht alles. Aber manchmal reicht es, einen Faden durch das Durcheinander zu ziehen.
Staunen
Was mich berührt, ist, dass Staunen immer über das hinausgeht, was der Verstand fassen kann. Es öffnet uns für das Unnahbare – für das faszinierende Geheimnis, das der Theologe Rudolf Otto (1869–1937) das Numinosum nannte: etwas, das sich jeder Erklärung entzieht, aber tief empfunden wird. Joseph Campbell sah darin eine Art „Ergriffenwerden“ durch Mythen und Symbole, das über rationale Bedeutung hinausgeht.
Der Nachthimmel ist so ein Tor zum Geheimnis. Er ist immer da – und doch sehen wir ihn selten wirklich. Würden wir es tun, erschütterte er vielleicht unsere Selbstverständlichkeiten. Diese Art Staunen haben wir oft verloren – oder der Wissenschaft überlassen. Die liefert uns Fakten, und das ist wichtig. Aber die meisten von uns suchen im Himmel keine Daten, sondern Bedeutung. Der Himmel erinnert uns: Das Leben ist größer, fremder, schöner, als wir denken. Kunst kann das auch: Sie reißt uns aus der Gewohnheit, zeigt uns das Andere, das Geheimnisvolle, das Schmerzhafte und Schöne. Ich liebe es, solche Momente in Worte zu fassen.
Nachspüren
Wann hast du das letzte Mal in den Nachthimmel geschaut – wirklich geschaut – und dich dabei klein, staunend oder verbunden gefühlt?
Podcast-Meditation Des Augenblicks gewahr sein
Gerald Blomeyer, Berlin am 12. August 2024
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