Gerald Blomeyer

Welcome your shadows
Das Kloster Tabo in Spiti, Indien, wurde im Jahr 996 gegründet.
Back in Berlin

ICH HATTE NIE VOR, MEDITATION ZU UNTERRICHTEN

Meditation ist untrennbar mit meinem Leben verbunden. Schon seit meiner Studienzeit in den siebziger Jahren hat sie mich gelehrt, mein Herz zu öffnen, Probleme als Chance zu sehen und darauf zu vertrauen, dass immer das Richtige passiert. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, einmal selbst Lehrer zu werden. Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte.

Die Passion für den Buddhismus habe ich von meinem Vater geerbt, sein Interesse an spirituellen Dingen beeinflusste mich seit Kinderzeiten stark. Er wurde in Japan geboren, reiste dann ab 1951 als Diplomat mit meiner Mutter, einer Engländerin, durch die Welt. Seit den sechziger Jahren sammelte er tibetisch- buddhistische Kunst. Ich bin in London geboren. Mit 15 kehrte ich von Neuseeland nach Deutschland zurück. Meine Eltern zogen weiter in die USA, nach Ägypten und Malta.

Ende der sechziger Jahre begann ich, an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Architektur zu studieren. In Hamburg lehrte damals ein tibetischer Lama namens Geshe Gedün Lodrö, den mein Vater gern kennen lernen wollte. Ich rief ihn an, wir trafen uns und verstanden uns sofort, denn ich verliebte mich auf der Stelle in die Ästhetik und Energie der tibetischen Kultur. Ich wollte mehr darüber wissen.

Gemeinsam mit zwei Kommilitonen beschloss ich 1970, das Verhältnis von buddhistischer Philosophie, Design und Bauen in den Tropen zu untersuchen. Einen Monat lang besuchte ich Tibeter in verschiedenen Teilen Indiens, lebte eine Woche lang im Kloster des Hamburger Lamas im südindischen Mundgod. Die Siedlung, von Feldern umgeben, ist heute Heimat für eine große tibetische Gemeinde. Dabei traf ich sogar den Dalai Lama. Dieses „Eintauchen“ in die buddhistische Welt bewegt mich bis heute tief.

 

LEHRERFAHRUNG

Nach meiner Studienzeit lehrte ich zehn Jahre lang Theorie und Geschichte der Architektur an verschiedenen Universitäten. Dabei lernte ich in kurzer Zeit, viel Information anschaulich aufzubereiten. Zusammen mit meiner ersten Frau, Barbara Tietze, habe ich Ausstellungen, Tagungen, Workshops organisiert, Filme für den Hessischen Rundfunk gemacht und Bücher herausgegeben.
Zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung gab ich das Unterrichten auf und gründete mit dem Journalisten Rainer Milzkott ein Büro für Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben für den Senat und den Magistrat von Berlin Konzepte für das neue Berlin entwickelt und danach große Immobilienprojekte betreut. Ich hielt Vorträge über Berlin und Stadtplanung in über zwanzig Ländern.

 

DIE MEDITATIONSHALTUNG

1987 lernte ich Meditation bei einem der bekanntesten Zen- Lehrer (Roshi) unserer Zeit, dem Amerikaner Zentatsu Richard Baker. Mehrere Jahre lang praktizierte ich das stille Sitzen (Zazen) regelmäßig. Geist und Körper werden dabei als Einheit trainiert, das Ziel ist, einfach nur zu sitzen. Einfach? Wie jeder Meditierende weiß, ist alles einfach – nur das nicht. Doch ich habe in diesen Jahren gelernt, mich zu konzentrieren, habe Ideen, Bilder und Gedanken auftauchen und an mir vorbeiziehen öassen, ohne mich auf sie einzulassen, und ich habe gelernt, aufrecht in der formalen Haltung zu sitzen.

 

Berlin 1989
Das Kloster Tabo in Spiti, Indien, wurde im Jahr 996 gegründet.
Bonn 1959
Retreat in Kladow, 2017
Eva Etta, Dalai Lama Schneverdingen 1998

DAS EINLASSEN

Dazu kam ein Kontrastprogramm. Im gleichen Jahr lernte ich Reiki, das Handauflegen, auf Hornby Island in Kanada bei Margaret Sinclair kennen. Diese Praxis ohne große Theorie entspannte mich. Ich ließ mich auf die Energie ein, die von den Händen ausgeht. 1991 wurde ich Reiki-Meister und organisierte das erste Ost-West-Berliner, dann das erste bundesweite Reiki-Treffen. Später in Nepal erzählte mir Lama Lhundrup, der Abt von Kloster Kopan, dass er westliche Schüler erst zum Reiki-Kurs schickt, um ihr Herz zu öffnen. Das sensibilisiere sie für buddhistische Energien.

 

Die wahre Entdeckung besteht nicht im Finden von neuen Ufern, sondern im Sehen mit anderen Augen

Marcel Proust

In der Liebe wachsen wir. Unser Weltbild wird auch davon bestimmt, wie wir unser Herz öffnen oder schließen. Im Jahr 1984 wurde mein Sohn Fritz geboren, was mich tief berührte. 1991 begegnete ich meiner zweiten Frau, Eva Etta. Diese große Liebe währte 15 Jahre, bis zu ihrem Tod.

Eva Etta und ich trafen Geshe Thubten Ngawang vom Tibetischen Zentrum Hamburg 1992 auf Malta. In Deutschland lernten wir im Zentrum neben der buddhistischen Philosophie verschiedene Arten der Meditation kennen, die Rezitationen und Visualisierungen beinhalten.

 

WEITERE LEHRER UND ERFAHRUNGEN

In der Meditation sollen die tibetischen „Gottheiten“, die eigentlich Energiefelder oder Archetypen sind, helfen, das „Ich“ zu transformieren. Der Praktizierende visualisiert sich selbst als erleuchtetes Wesen innerhalb eines Mikrokosmos (Mandala). Diese Rituale beginnen und enden mit der Meditation über Leerheit, weil alles in gegenseitiger Abhängigkeit von einander, als Prozess, existiert.

Weitere wichtige Lehrer waren Geshe Tenpa Choepel und Geshe Ugyen Rinpoche, der mir eine Übung empfahl, mit der sich Wut in Mitgefühl umwandeln lässt. Lama FoFu lehrt in der Nyingma Tradition, der ältesten des tibetischen Buddhismus. Wir arbeiteten mit den inneren Energie-Kanälen (Powa) und der inneren Hitze (Tummo). 1998 waren Eva Etta und ich Teil des Organisationsteams für „Buddhas Weg zum Glück“, eine siebentägige Veranstaltung mit dem Dalai Lama und 10.000 Teilnehmern in der Lüneburger Heide.

 

DIE REISE

Im Jahr 2005 starb Eva Etta nach Monaten intensiver Pflege an Krebs. Es war eine extrem fordernde Zeit, doch jeden Abend habe ich darüber nachgedacht, was am Tag geschehen war und wie ich es positiv sehen könnte. Die Intensität unserer innen-orientierten Liebe stand im grellen Kontrast zur außen-orientierten Konsumgesellschaft. Nach ihrem Tod fühlte ich mich einsam und fremd. Um meine Trauer zu bewältigen, lebte ich für fünfeinhalb Jahre in Indien und anschließend zweieinhalb Jahre in Nepal. Das waren die richtigen Orte, um den Buddhismus mit herausragenden Lehrern, wie dem Dalai Lama, zu studieren.

Seit 2006 machte ich mehrfach Retreats im buddhistischen Meditationszentrum (FPMT) von Pokhara, Nepal. Dabei habe ich den Mönch Choeding Rinpoche kennen gelernt, der mich im Jahr 2011 bat, ein neues buddhistisches Zentrum zu planen. Das alte war zu klein geworden und die Kurse immer gefragter. Weil es im Zentrum zu wenige Lehrer gab, luden mich der ansässige Mönch Ven. Yeshe und der Direktor Sonam ein, selber Meditation und später eine Einführung in den Buddhismus zu unterrichten.

 

Lama Zopa, Pokhara, Nepal
Ladakh 2014
Meditations- & Buddhismuskurs

MEDITATION ZU UNTERRICHTEN WAR EINE BESONDERE SCHULUNG

Im Zentrum waren die Teilnehmer aus aller Welt meist um die dreißig und nur für kurze Zeit da. Sie wollten sich anregen lassen und weiter ziehen. Um eine Meditation vermitteln zu können, musste ich täglich studieren. Eine gute Grundlage war das Buch „The Miracle of Mindfulness“ von Thich Nath Hanh. Er empfiehlt, Meditation sollte Freude machen und nicht anstrengend sein, so, als würden wir einen schönen Sonnenuntergang genießen. Um mit einem wachen Geist zur Ruhe zu kommen, empfiehlt er Anfängern die Atem-Meditation im Liegen (Shavasana).

Ich hatte Glück. Jeden Morgen gab es vor der Meditation eine Stunde Yoga mit Thanos Govindamurti, später mit Chetana Meehan, beide Yogis der Bihar School of Yoga. Sie beendeten ihre Klassen jeweils mit „Yoga Nidra“, dem yogischen oder bewussten Schlaf, eine geführte Meditation im Liegen. Seitdem praktiziere und unterrichte ich diese in einer ähnlichen Form, angelehnt an die Art, die Richard Miller (iRest) entwickelt hat.

Das stille Sitzen braucht ein Gefühl für die Körpermitte. Die Meditationen begann ich deshalb mit der Qigong-Übung „das wiegende Meer“. Diese dynamische Meditation besteht aus fließenden Kreisbewegungen, die unsere Empfindungen und inneren Energien anregen. Danach fühlt man sich zentriert und frei von Gedanken.

DAS MITEINANDER MIT DEN TEILNEHMERN

Nach der Meditation strahlen viele Teilnehmer, sie sind entspannt und erfrischt. Sie sind mehr in ihrer Mitte als vorher und haben ein Gefühl, dass ihr Glück in ihnen und nicht außen zu finden ist. Viele stellen auch Fragen. „Seit zwei Jahren trage ich meinen Ex-Freund mit mir herum“, sagte eine junge Frau in Pokhara. „In der Mitgefühls-Meditation (Tonglen) habe ich ihn fast losgelassen. Können wir das bitte morgen früh vor meiner Abreise wiederholen?“ Als sie losfuhr, fühlte sie sich frei und strahlte. Solche Interaktionen mit den Teilnehmern haben mich angeregt, mein Repertoire auszubauen. Wie kann ich ihnen helfen Ruhe zu finden, den nächsten Schritt zu planen oder mit ihrer Angst umzugehen?

DER NEUANFANG

Die vielen Reisen, das Unterrichten und die Agenturarbeit haben mir geholfen, das Leben zu akzeptieren, wie es ist. Ich habe gelernt zu vertrauen, dass alles so kommt, wie es für mich gut ist. In meiner Indien-Zeit habe ich mich von meiner Intuition leiten lassen, um im „Flow“ zu leben. Als ich dann 2014 nach Deutschland zurückkehrte, stellte ich schnell fest, dass Achtsamkeitstraining als MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) oder etwas später als „Search Inside Yourself“ überall angeboten wurde. Doch für mich stand bald fest, dass ich weder für ein Zentrum arbeiten noch eine Firma gründen wollte. Ich wollte mein eigener Herr sein, nah an meinen Schülern, mitfühlend und authentisch. Auch in Firmen habe ich Achtsamkeitskurse unterrichtet, u.a. bei der Europäischen Zentralbank EZB.

Immer wieder wurde ich nach Ton-Aufnahmen der Meditationen gefragt. Als ich die ersten Podcasts auf meiner Website zur Verfügung stellte, schlug mir eine Teilnehmerin vor, sie auf der Meditations-App Insight Timer auf Deutsch und Englisch zugänglich zu machen. Dort mochte man meine Stimme und beauftragte mich, eine Einschlafgeschichte vorzulesen. Geschichten transportieren uns in andere Welten. Sie sollen unsere Selbsterkenntnis unterstützen, unser Leiden trösten und unsere Welt leichter und schöner machen. Die App kategorisiert sie als „säkulare Achtsamkeit“.

Online aufzutreten heißt aber auch: Meine Meditationen finden heute weitgehend ohne mich statt. Die rund vierzig Podcasts je auf deutsch und englisch wurden an die 30.000 Mal von meiner Website heruntergeladen oder gestreamt. Eine Auswahl auf Insight Timer wurde sogar über 400.000 Mal gehört, 3.300 Menschen aus aller Welt folgen dort meiner Seite. Doch habe ich keine Ahnung, wer diese Leute sind. Auch bei den Live-Meditationen weiß ich nicht, was sie bewegt. Ich vertraue aber, dass wir in der virtuellen Begegnung eine neue Art Gemeinschaft schaffen.

Die Sterne der Bewertungen und die Anzahl der „Plays“ sind ein Hinweis, wie gut die Podcasts ankommen. Besonders beliebt sind die Einschlafgeschichten und die Einschlafmeditation (Yoga Nidra). Aber das Feedback der Teilnehmer fehlt. Meine Stimme hat sich durch die Aufnahme der Podcasts verändert. Mein Sprachduktus war anfangs formell und schnell. „Less BBC and more Belafonte“ wünschte sich ein Freund. Das kann ich jetzt. Neues teste ich im kleinen Kreis bei den Montags-Meditationen auf Zoom.

Agape Zoe Festival 2020

WAS IST MEINE MOTIVATION?

Die Liebe ist die treibende Kraft in meinem Leben. Mein Ziel ist es, Menschen daran zu erinnern, wie sie Liebe und Mitgefühl in alle Bereiche ihres Lebens bringen können. Es geht darum, den Geist zu beruhigen und dennoch verletzlich zu sein. Wer sein Herz öffnet und Mitgefühl entwickelt, kann sich selbst heilen und lernen, der angeborenen Weisheit zu vertrauen. Ich versuche, die erprobten Praktiken in einer modernen Form zu vermitteln, damit man sie im Alltag einsetzen kann.

Nur der Tod ist sicher. Gewinn und Verlust, Lob und Tadel, Freude und Schmerz kommen und gehen. In den Sitzungen reflektieren wir über den Wert, ein friedvolles Herz zu bewahren und anderen mit Mitgefühl zu begegnen. Wir erkennen, dass Menschen enorm lieben können. Im Buddhismus geht es um das Erwachen, nicht einfach darum, sich besser zu fühlen. Es gilt die Natur des Geistes zu erkennen, frei von Hass, Gier und Verblendung.

Meditation hat mich gelehrt, wie ich damit umgehen kann, was ist – oder was nicht ist. Sie hilft mir, geschickt auf die Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten des Lebens zu reagieren. Sie lehrt mich, wie ich dabei ein Gefühl von Gleichmut und Vertrauen bewahren kann.

WAS BRINGT MIR DAS GANZE, DEN TEILNEHMERN, DER GESELLSCHAFT?

In den zehn Jahren, in denen ich Meditation unterrichte, hat sich vieles verändert. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Meditation unser Gehirn und das Nervensystem verändert. Online-Kurse sind immer wichtiger geworden, Covid hat das Angebot geradezu explodieren lassen. Die steigende Nachfrage ist ein Hinweis auf die positive Wirkung.

Online spielt für mich das formelle Sitzen und die dazugehörigen Techniken eine untergeordnete Rolle. Meditation ist die Kunst, alles so sein zu lassen, wie es ist. Es ist auch die Kunst, vom Kopf ins Herz zu gelangen. Ich werde weiterhin Meditationen anbieten, um Menschen zu helfen, Vertrauen zu finden, ihr Herz zu öffnen und sie zu inspirieren, neue Perspektiven für sich selbst und eine humane Welt zu finden.

Wie gesagt, ich hätte mir als Zwanzigjähriger nie träumen lassen, einmal selber Meditationskurse zu geben. Aber ich habe immer darauf vertraut, dass mir das Richtige passiert. Genau so ist es gekommen. Ich bin Lehrer geworden, von ganzem Herzen.

Let’s dance

Quelle des Artikels: TIBET UND BUDDHISMUS APRIL | 2021
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Bildquellen
1 & 11) heidischerm.de   2) tompeschel.de   0 & 4 & 12) kimberlylaurenbryant.com   5) jensnagels.de   9) photos-et-cetera.de   10) Nicola Steinigeweg

 

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