Fantasiekarte „Reich der Liebe“: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf Beschreibung des Reichs der Liebe mit beygefügter Landcharte, Leipzig, 1777. Zu sehen sind die Länder der Jugend, der glücklichen Liebe und der Lüste, aber auch die Länder der Ruhe, der trauernden Liebe und der Hagestolze sowie ein Meer der Verzweiflung, einen Tränenfluss, einen Fluss der Wünsche und einen Freudenstrom. Landesbibliothek Oldenburg, LIT IV A 4 190, 2
„Um dein Wohlbefinden im Jahr 2025 zu steigern, verzichte auf Neujahrsvorsätze und setze stattdessen klare Grenzen. Das erfordert, dass du dir über deine Wünsche, Bedürfnisse und Herausforderungen im Klaren bist – und so die Möglichkeit hast, jeden Aspekt deines Lebens zu verbessern.“ Time Magazine 1.1.2025
„Sobald wir unsere Grenzen akzeptieren, gehen wir über sie hinaus.“ — Albert Einstein (1879-1955), deutscher Physiker
Ein ungesundes Verhältnis von Nähe und Distanz
Manchmal ist unser Alltag so vollgestopft, dass die Stunden zu kurz und die Tage zu lang erscheinen. 1984, das Jahr, in dem unser Sohn Fritz geboren wurde, war ein einziges Durcheinander aus beruflichen Verpflichtungen und Elternfreuden. Meine Frau Barbara, damals Professorin, jonglierte ihre Vorlesungen mit den Herausforderungen der Mutterschaft. Ich war Lehrbeauftragter und Architekturkritiker, und gemeinsam organisierten wir eine Wanderausstellung für die Internationale Bauausstellung Berlin – mit Teilnehmern aus zehn Ländern und ein Neugeborenes. Es war eine Zeit voller Leidenschaft, aber auch voller Überforderung.
Wir hatten diese romantische Vorstellung, alles miteinander zu teilen – Arbeit, Elternschaft, Liebe. Aber die Realität holt uns ein. Niemand kann gleichzeitig Therapeut, Geschäftspartner, Lebenspartner und bester Freund sein. Darüber wo Grenzen sein sollten, haben wir kaum nachgedacht. Stattdessen war da nur der Wunsch, alles gemeinsam zu bewältigen, immer Seite an Seite. Doch wie viel Nähe ist zu viel? Es ist verlockend, sich ganz in die Welt des anderen zu werfen, besonders wenn man so eng zusammenarbeitet. Aber dabei kann man sich leicht selbst verlieren. Es braucht Mut, Raum für sich selbst zu schaffen, wenn die Liebe und das Leben so eng verwoben sind. Genau dieser Raum ist es, der uns ermöglicht, nicht nur als Paar, sondern auch als Individuen zu wachsen. Denn solange wir lernen, sowohl allein als auch miteinander zu blühen, kann keine Nähe zu viel sein – nur die richtige.
Grenzen sind wie Inseln im Ozean
Grenzen geben uns Orientierung und Ruhe, ohne uns von der Welt abzuschotten. Sie schaffen den Raum, den wir brauchen, um ein gesundes Gleichgewicht zu finden, sei es in Beziehungen oder bei der Arbeit. Gerade im Job, wo viele den Großteil ihrer Zeit verbringen, fällt es vielen schwer, Grenzen zu setzen. Es gibt die Angst, als unkollegial oder wenig teamfähig wahrgenommen zu werden. Doch es geht nicht darum, sich zu isolieren, sondern sich selbst zu schützen und die eigene Energie zu bewahren. Grenzen sind Brücken, die sagen: „Ich respektiere dich, aber auch mich.“ Grenzen helfen uns, unsere Bedürfnisse zu erkennen und zu respektieren, bevor wir erschöpft oder überfordert werden. Sie sind ein Akt der Selbstfürsorge, keine Absage an andere.
Grenzen sind nicht dazu da, Menschen fernzuhalten, sondern um uns selbst Raum zu geben – für Wachstum, Heilung und echte Verbindung. Leider werden sie oft missverstanden. Manche setzen sie so eng, dass sie wie Mauern wirken – unüberwindbar und isolierend. Doch gesunde Grenzen schützen uns, ohne uns abzuschneiden. Sie sagen: „Ich lasse dich in mein Leben, aber nur, wenn du mich respektierst.“ Wenn Vertrauen missbraucht wird, durch Kontrolle, Täuschung oder Egoismus, hilft es, klare Linien zu ziehen. „Nein“ zu sagen, ist nicht nur ein Recht, sondern eine Verantwortung. Doch auch das „Ja“ ist wichtig – ein Ja zu denen, die uns inspirieren und stärken.
Die Kunst des Grenzensetzens
Grenzen sind nicht naturgegeben. Sie geben uns Klarheit über unsere eigenen Bedürfnisse. Sie sollten offen und frühzeitig kommuniziert werden. Doch sie sind nur dann wirksam, wenn sie konsequent eingehalten werden. Wer seine Bedürfnisse erkennt und kommuniziert, sollte diese auch ernst nehmen und durchsetzen. Es geht darum, nicht nachzugeben, wenn der Druck steigt, sondern uns zurück zu holen, was wir brauchen, wenn unsere Grenzen infrage gestellt werden. Gesunde Grenzen sind essenziell. Und manchmal regen sie andere an, dasselbe zu tun. Flexible Grenzen passen sich der Situation und den Menschen an. Sie ermöglichen es uns, echte Nähe zuzulassen und gleichzeitig uns selbst zu respektieren. Grenzen erlauben es uns, klar zu definieren, wann wir „Ja“ oder „Nein“ sagen.
Nachspüren
Sei ehrlich zu dir selbst und erkenne, was dich erschöpft. Wo möchtest du künftig „Nein“ statt „Ja“ sagen? Respektiere deine Kapazität. Wo willst du nicht mehr geben, als du kannst?
Podcast-Meditation Grenzen setzen – eine Kontemplation
Gerald Blomeyer, Berlin am 7. Januar 2025
Addendum: Satzanfänge um Grenzen klar zu kommunizieren
„Ich brauche…“ drückt unsere Bedürfnisse aus, ohne zu kritisieren. Wir sagen, was wir brauchen, etwa pünktlich sein.
„Ich fühle…“ drückt aus, wie bestimmte Handlungen oder Verhaltensweisen auf uns wirken, ohne andere zu beschuldigen.
„Es ist mir wichtig…“ zeigt die Grenze auf, ohne Kritik zu üben.
„Lass uns einen Kompromiss finden…“ zeigt Bereitschaft zur Verhandlung.
„Ich schätze unsere Beziehung…“ zeigt sowohl Respekt als auch Fürsorge.
„Können wir darüber sprechen…“ signalisiert, dass die Perspektive der anderen Person und die eigenen Bedürfnisse wertgeschätzt werden.
„Nein“ ist ein ganzer Satz, ein Zeichen von Selbstrespekt und schützt unser Wohlbefinden.