Inwiefern warst Du mitschuldig an der Schaffung der Bedingungen, die Du angeblich nicht wolltest?“ – Jerry Colonna, amerikanischer Coach

 

Perhaps this is the ultimate freedom, eh, Dreamlord? The freedom to leave.“ ― Neil Gaiman, britischer Autor, The Sandman, Vol. 4: Season of Mists

 

„Wie unterscheidet man eine Gelegenheit, die man ergreifen muss, von einer Versuchung, der man widerstehen muss?“ – Rabbi Lord Jonathan Sacks nach Tim Ferriss

 

 

Die Illusion der Akzeptanz

Loslassen ist eine seltsame Alchemie, die Angst in Freiheit verwandelt. Angst ist wie ein vergoldeter Käfig, kunstvoll gestaltet, der uns gefangen hält – gefesselt von geflüsterten Urteilen und den Schatten der Missbilligung. Wir fürchten, als schlecht oder unwürdig wahrgenommen zu werden, selbst wenn wir innerlich an der Bitterkeit unserer eigenen Unzufriedenheit ersticken. Es ist ein merkwürdiger Tanz, den wir aufführen, wenn wir „Ja“ sagen, obwohl unser Herz „Nein“ schreit – nur um den stechenden Blicken anderer zu entkommen, die uns als fehlerhaft sehen könnten.

Stellen wir die Zustimmung anderer über unser eigenes Wohl, werden wir zu Gefangenen alter Geschichten, in denen Loyalität und Verpflichtung uns stärker binden als jede physische Kette. Selbst die Vorstellung von Liebe kann zum Gefängnis werden, wenn sie verlangt, unsere eigenen Bedürfnisse zu verleugnen. Wir bemühen uns unermüdlich, anderen zu dienen, und vernachlässigen dabei die wichtigste Beziehung: die zu uns selbst. Wir geben unsere Sehnsüchte nach Perfektion und Akzeptanz auf – und den Traum, dass eines Tages jemand kommen wird, um uns aus den Kerkern zu befreien, die wir uns selbst geschaffen haben.

 

Das Feuer der Verwandlung schenkt Freiheit

Dieses Feuer zwingt uns, die Schatten in unseren Beziehungen zu betrachten – sei es mit Freunden oder der Familie. Den eigenen Anteil daran anzuerkennen, fühlt sich oft an, als stünden wir am Rand eines tiefen Abgrunds. Der Schmerz, gefangen zu sein, kann überwältigend sein, aber er ist nur eine Illusion. Wir sind nicht gebunden; wir haben nur Angst, unsere Hände zu öffnen und loszulassen, was uns nicht mehr dient. Wenn wir die alten Regeln wie Asche zerfallen lassen, schaffen wir fruchtbaren Boden für neues Wachstum. Wir schreiben eine neue Geschichte, in der wir die Autoren unseres eigenen Schicksals sind.

Es erfordert Mut, unsere Wahrheit auszusprechen und zu sagen: „Nein! Das passt nicht zu mir!“ Diese Verletzlichkeit ist gleichermaßen beängstigend und befreiend. Es ist, als würden wir durchs Feuer gehen; die Hitze mag brennen, doch sie reinigt auch. Wahre Freiheit erlangen wir nicht, indem wir uns äußeren Erwartungen beugen, sondern indem wir sie völlig ablegen. Die Grenzen, die wir setzen, sind keine Mauern, sondern Tore zur Authentizität.

 

Selbstliebe: Ein zarter Tanz zwischen Herz und Verstand

Wenn wir unserer geistigen Gesundheit und unserem Wohlbefinden Priorität einräumen, schaffen wir in uns einen Zufluchtsort – einen sicheren Raum, in dem wir uns selbst an erste Stelle setzen. Pflegen wir diesen inneren Garten nicht, wer wird es dann tun? Um bedingungslose Liebe zu erfahren, müssen wir sie zuerst in uns selbst finden. Das erfordert Demut – die Bereitschaft, sich den Teilen von uns zu stellen, vor denen wir oft zurückschrecken. Diese Entschlossenheit gibt uns die Kraft, unsere Unvollkommenheiten zu umarmen, statt sie hinter Masken der Perfektion zu verbergen. Wir akzeptieren, dass unser Leben vielleicht nie die glänzende Perfektion erreichen wird, die wir bei anderen zu sehen glauben. Doch wenn wir uns selbst so annehmen, wie wir sind – mit all unseren Talenten und Fehlern –, betreten wir eine Welt, in der Liebe nicht nur eine Erwartung, sondern eine tiefgreifende Realität ist. Also: Nimm dich so an, wie du bist. Das gibt der Liebe Tiefe.

 

Nachspüren

Denke an eine Situation, in der du dich selbst hart verurteilt hast. Welche Worte oder Gefühle kommen dabei auf? Stell dir vor, was du einer guten Freundin sagen würdest, die sich in der gleichen Situation befindet. Sage sanft zu dir: „Es ist okay, Fehler zu machen. Ich habe Mitgefühl mit mir.“

Podcast-Meditation: Grenzen setzen – eine Kontemplation

 

Gerald Blomeyer, Berlin am 3. Oktober 2024

 

Foto: Fritz Lloyd Blomeyer 1987 (3 Jahre alt) am Faena, ein Bach in Montecastello, Italien

 

Der Text als Kurzgeschichte

Paula hatte ihr Leben lang versucht, es allen recht zu machen. Schon als Kind suchte sie das Lächeln der Anerkennung ihrer Eltern, wollte ihre Lehrerin beeindrucken und sehnte sich danach, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Sie wurde geschickt darin, die Rollen zu spielen, die man von ihr erwartete – die perfekte Tochter, die verlässliche Freundin, die pflichtbewusste Kollegin. Doch tief in ihrem Inneren wuchs eine leise Unzufriedenheit, wie ein Schatten, der sich heimlich in die dunklen Ecken ihres Herzens schlich und eine kalte Spur hinterließ, als wäre er ein vergessener Traum.

Diese Unruhe war mehr als nur ein flüchtiges Gefühl; sie begleitete Paula stetig, mit eisigen Fingern, die sie unnachgiebig umklammerten, und einem unaufhörlichen Flüstern, dass etwas Grundlegendes in ihrem Leben fehlte. Die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung hielt sie gefangen wie ein kunstvoll gewebtes Netz aus Erwartungen und gesellschaftlichen Normen, eine Illusion, die sie umschloss und langsam erstickte. Die Fäden dieses Netzes schimmerten zwar verlockend, doch bei genauerem Hinsehen entblößten sie ihre grausame Natur. Jeder Faden stand für eine Erwartung, jede Masche für einen Kompromiss. Je mehr Paula sich bemühte, diese Maschen zu durchdringen, desto enger schnürte sich das Netz um ihr Herz.

Ihr ganzer Körper fühlte sich gefangen wie in einem klebrigen Spinnennetz, dessen Fäden sich unbarmherzig um ihre Glieder schlangen. Jedes Mal, wenn sie versuchte, sich zu befreien, zog sich das Netz fester zusammen, als würde die Dunkelheit der Erwartungen um sie herum pulsieren und sie in einen Zustand der Ohnmacht drängen.

Paula erkannte, dass sie nicht nur von äußeren Erwartungen gefesselt war – sie war vor allem die Gefangene ihrer eigenen Illusionen. Ihr Herz schlug im Takt eines fremden Liedes, dessen Melodie verstimmt und kalt klang, ein Echo der Wünsche anderer. Sie tanzte auf der Bühne des Lebens, doch die Bewegungen waren nicht ihre eigenen; sie waren choreografiert von den Stimmen jener, die sie umgaben. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie in einem Spiel gefangen war, dessen Regeln sie nie selbst festgelegt hatte.

Jede Entscheidung, die sie gegen ihre eigene Wahrheit traf, machte sie ein Stück weniger lebendig. Jedes Mal, wenn sie „Ja“ sagte, obwohl ihr Herz „Nein“ schrie, erstickte ein Teil von ihr. Mit den Jahren spürte sie die Last dieser Masken immer schwerer. In ihr flammte das Wissen auf, dass sie sich selbst verloren hatte, gefangen in einer Rolle, die andere für sie entworfen hatten. Doch der Ausweg schien unmöglich – wie sollte sie all das abstreifen, was sie so lange aufrechterhalten hatte? Wie konnte sie loslassen, ohne alles zu verlieren, was sie zu kennen glaubte?

Wenn sie sich nicht wie gewohnt verhielt, hörte sie oft: „Oh, mit dir stimmt etwas nicht. Lass dich reparieren.“ Sie wusste, dass ein Arzt oder Therapeut versuchen würde, sie mit Medikamenten oder kognitiver Verhaltenstherapie zu „reparieren“. Doch tief in ihrem Inneren spürte Paula, dass dies nicht die Lösung war. Klar, es war hilfreich, mit jemandem darüber zu sprechen, wie schlecht sie sich fühlte und über ihre Schuldgefühle zu reden, um sich zu öffnen. Doch was sie wirklich brauchte, war etwas anderes: Selbstmitgefühl.

Selbstmitgefühl bedeutete, anzuerkennen, dass ihre Reaktionen verständlich waren, verwurzelt in ihrer Vergangenheit. Sie wünschte sich, dass ihre Freunde und Familie sie unterstützten, damit sie die widrigen Bedingungen, unter denen sie aufgewachsen war, loslassen konnte.

Eines Abends saß Paula entspannt im Garten, versunken in einem Liegestuhl. Plötzlich wurde die Enge in ihrer Brust unerträglich. Sie dachte an die Worte, die sie ihr Leben lang begleitet hatten: „Du musst dich anpassen. Du musst gefallen.“ Doch in diesem Moment erkannte sie eine schlichte, aber tiefgreifende Wahrheit: Diese Worte waren Illusionen, Fesseln, die sie sich selbst angelegt hatte. Die Angst vor dem Urteil anderer war wie ein Schatten, der nur durch ihre eigene Zustimmung existierte.

Mit einem tiefen Atemzug begann sie, diese inneren Ketten zu lösen. Sie schaute nach innen, zum Herzen, und spürte, wie die Erwartungen zu durchscheinenden Wolken wurden – leicht und flüchtig. Das Licht und die Stille umgaben sie, spürbar und befreiend. Das Loslassen alter Glaubenssätze war schmerzhaft, aber auch heilsam. Paula spürte, wie die alte Angst nachwirkte, aber zugleich auch eine nie dagewesene Freiheit. Zum ersten Mal in ihrem Leben sprach sie ihre eigene Wahrheit aus: „Nein. Das will ich nicht!“

Es war der Beginn einer neuen Reise – einer Reise zu sich selbst und zur Entdeckung ihres eigenen Wertes. Paula lernte, dass wahre Liebe und Akzeptanz in ihr selbst lagen und nicht in der Bestätigung von außen. Sie hatte entdeckt, dass Freiheit nicht darin bestand, den Erwartungen anderer zu folgen, sondern darin, ihre eigenen zu gestalten. Die Illusion der Akzeptanz verblasste im Angesicht der Realität der Selbstliebe.

Von diesem Tag an tanzte Paula durch ihr Leben – nicht mehr im Takt anderer, sondern im Rhythmus ihres eigenen Herzens.

 

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