„Es gilt, den Geist zu beruhigen, ihn zu entspannen und das Bewusstsein in den Vordergrund zu bringen, damit wir erkennen, was wir tun, ohne es ständig zu kommentieren.“ – Jetsunma Tenzin Palmo

 

Das Herz des Bewusstseins ist, dass es sich wie etwas anfühlt. Wie kommt es, dass ein Stück Materie, wie mein Gehirn, etwas fühlen kann?“Christof Koch, Neurowissenschaftler: Consciousness is everywhere

 

Bewusstsein hat keine feste Form

Wörterbücher – auch der Duden – beschreiben Bewusstsein als den Zustand, wach zu sein und sich seiner selbst sowie der Umgebung gewahr zu werden. Doch damit ist sein Wesen nur angedeutet. Bewusstsein besteht weder aus Materie, noch lässt es sich greifen oder verorten. Wäre es ein Gegenstand, könnten wir sagen: „Hier ist es.“ Aber genau das können wir nicht. Es bleibt unsichtbar, unauffindbar – und dennoch erstaunlich wirksam.

Wie erfahren wir etwas, das keine Form hat? Unsere Gedanken bieten dafür ein gutes Beispiel. Man kann sie zwar mit elektrischen Impulsen im Gehirn in Verbindung bringen, doch diese Impulse sind nicht die Gedanken selbst. Sie sind nur ihre physische Begleitmusik. Wie aus ihnen Erleben, Bedeutung und ganze innere Landschaften entstehen, gehört zu den großen Rätseln des menschlichen Daseins – und verweist auf die immaterielle Dimension des Bewusstseins.

 

Meditation als innere Forschungsreise

Meditation ist für mich eine Reise in den Raum von Geist und Körper – vertraut und dennoch voller Geheimnisse. Zuerst spüre ich, wie der Körper ganz von selbst atmet. Dann taucht ein Geräusch auf, oder ein Gedanke kommt, wie ein Besucher, der schon im Raum steht, bevor ich ihn bewusst wahrnehme. Ein Gefühl regt sich, flüchtig wie ein Schatten auf Wasser. Jeder Moment erscheint für sich, klar umrissen – und mit ihm entsteht das Bewusstsein, das ihn erkennt.

Es gibt dieses Aufblitzen von Objekt und Gewahrsein, die gemeinsam auftauchen und wieder vergehen, wie Wellen, die am Strand entstehen und sich auflösen. In solchen Momenten wird die Vorstellung eines festen Selbst fast durchsichtig. Ich erkenne mich als Bewegung, als Dynamik von Bewusstheit, die von Augenblick zu Augenblick weiterfließt. Dieser ständig verändernde Fluss zeigt mir, wie leicht, frei und offen mein Inneres sein kann, wenn ich einfach ruhe.

 

Bewusstsein: immateriell, flüchtig, im Wandel

In jedem Augenblick entsteht Bewusstsein neu. Es hat keinen festen Kern und keinen dauerhaften Bestand. Wie alles Erfahrene ist es bedingt: ein Ereignis, das entsteht, weil bestimmte Ursachen zusammentreffen – und sofort wieder vergeht. Jeder Moment beeinflusst den nächsten als Impuls, Tendenz oder energetischer Übergang. Alles, was wir erleben, geschieht im Geist.

Das Verständnis von Karma wird zu einer kraftvollen Orientierung, wenn wir es auf das Hier und Jetzt beziehen. Karma bedeutet: Jede Handlung hat eine Wirkung. Jede absichtsvolle Tat ist ein Same. Wir pflanzen heute, und irgendwann wächst etwas daraus – vielleicht eine Blume, vielleicht ein ganzer Baum. Wir wissen nicht genau, wie oder wann, doch das Prinzip ist eindeutig: Unsere Handlungen prägen unsere Zukunft.

Freundlichkeit, Großzügigkeit und Geduld – ebenso wie Ärger, Neid oder Härte – haben Wirkung. Wir können es täglich beobachten. Und wenn wir sehen, wie direkt sich unser Verhalten auf unser Erleben auswirkt, warum sollten wir dann nicht Samen des Glücks, der Klarheit und des Wohlbefindens säen? Dieses Verständnis von Bewusstsen macht uns handlungsfähig. Es stärkt unser Vertrauen darin, dass wir aktiv mitgestalten können, wie sich unser Leben entfaltet.

 

Nachspüren mit Jetsunma Tenzin Palmo

Oft verlieren wir uns in Gedanken, ohne es zu bemerken. Darum wenden wir uns dem Atem zu – besonders dem Ausatmen – ganz ohne ihn zu verändern. Gedanken dürfen weiterziehen wie Wolken am Himmel, doch wir folgen ihnen nicht. Sobald wir merken, dass wir abgeschweift sind, kehren wir sanft zum Atem zurück.

Atem und Geist beruhigen einander. Wird der Atem weicher, wird auch der Geist stiller. Diese einfache, tiefgründige Praxis bringt Achtsamkeit in unseren Alltag – ins Gehen, ins Sitzen, in Momente der Unruhe. Mit der Zeit lösen wir uns aus dem Griff der Gedanken und öffnen unser Herz für mehr Freundlichkeit und Mitgefühl.


Gerald Blomeyer, Berlin am 29. November 2025

 

 

Pin It on Pinterest

Share This