„… wir können eine Vereinigung mit etwas Größerem als uns selbst erfahren und in dieser Vereinigung unseren größten Frieden finden.“ — William James (1842–1910), amerikanischer Arzt, Psychologe und Philosoph. The Varieties of Religious Experience, 1902
„Die Angst würde dich auf einem schmalen Pfad führen, mit dem Versprechen, dich dorthin zu bringen, wohin du gelangen möchtest. Die Liebe sagt: ‚Öffne deine Arme und flieg mit mir.‘ In jedem Moment deines Lebens wird dir die Möglichkeit geboten, zu wählen – Liebe oder Angst, die Erde zu betreten oder den Himmel zu durchfliegen.“ – Emmanuel’s Book II, gechannelt von Pat Rodegast und Judith Stanton.
Der Frieden, der das Denken übersteigt
Angst – sie ist ein Teil von uns, ein ständiger Begleiter, weil wir angegriffen werden könnten. Doch das wahre Gegenteil der Angst ist nicht Sicherheit oder Schutz, sondern Liebe. Liebe kennt weder Gegensätze noch Trennung. Sie ist der Raum, der alle Ängste übersteigt und einen Frieden hervorbringt, der so tief ist, dass er jedes Denken und jede Erklärung sprengt. Liebe und Bewusstsein sind unsere wahre Essenz; sie kennen nur Einheit. In der Meditation geht es darum, das zu ehren, was tief in uns ruht und keine Trennung kennt.
Ich erinnere mich an eine Frau, in die ich mich verliebte. Zunächst schien es, als käme die Liebe in der Gestalt dieser Frau zu mir. Doch je tiefer ich mich auf sie einließ, desto klarer wurde mir: Ich verliebe mich nicht nur in sie – ich schwinge in der Liebe selbst. Sie half mir, dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit zu spüren, das zugleich persönlich und unpersönlich ist. Die Liebe hat also zwei Gesichter: das persönliche, das wir in Beziehungen erleben, und den absoluten, unpersönlichen Aspekt, der über alles hinausgeht, was wir kennen. Wenn wir lernen, beide Aspekte zu integrieren – das Persönliche und das Absolute –, entsteht ein tiefes Gefühl der Erfüllung, ein Frieden, der jenseits dessen liegt, was unser Verstand je begreifen kann.
Wie erlebt das Gehirn …?
Jill Bolte Taylor, eine amerikanische Neuroanatomin, war 37 Jahre alt, als ein Schlaganfall ihre linke Gehirnhälfte – zuständig für Sprache und Logik – lahmlegte. In ihrem Buch „Mit einem Schlag“beschreibt sie: „Ich war eins mit dem Universum.“ In den Stunden bis zur Hilfe spürte sie tiefen Frieden und große Zufriedenheit. Sie vermutet, dass dieses Gefühl aus der rechten Gehirnhälfte kam, die für intuitives, subjektives Denken steht. Sie verbindet uns mit dem großen Ganzen und dem Moment, in dem es keine Grenzen gibt und wir Teil von allem sind. Dieses Gefühl der Einheit könnte ein Mechanismus sein, der uns hilft, mit existenzieller Angst umzugehen. Es gibt uns die Freiheit, weiterzuleben.
Der amerikanische Arzt und Neurowissenschaftler Dr. Andrew Newberg erklärt es anders. Unser Gehirn hat einen Navigator, der uns sicher über den Gehweg lotst und rechtzeitig ruft: „Achtung, Baum in drei … zwei … eins …“ – das ist der Parietallappen. Drehen wir die Lautstärke dieses Navis in Gedanken auf Flüsterton, nehmen wir unseren Körper nicht mehr als feste Grenze wahr, sondern als vibrierenden Teil des großen Ganzen: ein Flash aus Ehrfurcht, Liebe, kosmischem Staunen. Und egal, ob Buddha, Jesus, Allah, das Naturerlebnis oder das Universum auf der Gästeliste steht – das Gehirn zeigt dieselbe spektakuläre Lightshow. Die Kultur gestaltet den Rahmen, aber die Neurowissenschaft mischt überall dieselben strahlenden Farben.
Hattest du schon einmal eine tiefgreifende spirituelle Erfahrung?
Jede Erkenntnis beginnt damit, dass wir unserer eigenen Erfahrung vertrauen. Für manche ist eine spirituelle Erfahrung ein mystischer Moment, in dem sie sich in einem höheren Bewusstseinszustand fühlen, für andere einfach ein starkes Gefühl von Verbundenheit oder innerer Ruhe. Dann spüren wir, dass wir mit etwas Größerem verbunden sind. Das kann Frieden, Staunen oder neue Einsichten bringen. Solche Erfahrungen können in einem religiösen Rahmen geschehen oder ganz persönlich als Momente des Erwachens.
Newberg beschreibt es so: Im Verschmelzungs-Modus löst sich das Ich auf, der Parietallappen macht Pause. Dann steigt die Liebe auf Maximum – das hellste Licht, das wir je gesehen haben. Plötzlich verstehen wir das Leben klarer, weil der Thalamus neue Signale filtert. Nach dem Erlebnis hält ein Glücks-Afterglow an; Dopamin und Serotonin machen uns empfänglicher für Freude. Schließlich lassen wir los, geben die Kontrolle ab und gleiten mit dem Augenblick.
Mystische Aha-Momente sprengen jedes Vokabular: Das Hirn, das sonst Worte formt, schaltet runter, wir bleiben sprachlos. Doch unser Gehirn kann diese Tür öffnen, egal wer wir sind. Also lass uns bewusst Inseln der Stille, Ekstase oder des Gebets besuchen: Wenn der Frontallappen jubelt, leuchtet unser Leben.
Nachspüren
Welche tiefgreifende Erfahrung hat dir Frieden und Klarheit geschenkt, die über das normale Denken hinausgehen? Wie hat diese Erfahrung dein Leben und deine Sichtweise verändert?
Gerald Blomeyer, Berlin zum 1. Mai 2025
Image: Patricia East