Liebe ist die Sehnsucht nach der Ganzheit, und das Streben nach der Ganzheit wird Liebe genannt.“ – Platon (427 v. Chr. – 347 v. Chr) griechischer Philosoph

 

Die zwei Seiten unseres Gehirns

Neulich vertraute mir ein Freund an: „Ich fühle mich nie ganz. Da ist immer diese Stimme in meinem Kopf, die mich kritisiert.“ Ich nickte, weil ich genau wusste, was er meinte. Unser Verstand ist wie ein Zweiklang – zwei Stimmen, zwei Seiten, die darum ringen, gehört zu werden. Die linke Seite liebt es, alles in Worte zu fassen, es zu analysieren und alles in hübsche kleine Kästchen zu packen. Die rechte dagegen will einfach fühlen, will eintauchen und erleben, ohne nach einer Bedeutung zu suchen.

Aber was passiert, wenn wir nur einer Seite folgen? Bleiben wir ausschließlich bei den Worten, wird das Leben zur Theorie – blass, skizzenhaft, nie ganz greifbar. Verlieren wir uns hingegen nur in den Gefühlen, fehlt uns die Sprache, um das Erlebte zu teilen, um es mit anderen zu verbinden.

Doch wahres Wohlbefinden? Das ist kein Konzept, das man einfach nur denkt. Es ist etwas, das im Körper auflebt, das sich in der Brust ausbreitet, das im Bauch kribbelt. Etwas, das wir nicht nur verstehen, sondern wirklich spüren – tief, ehrlich, lebendig.

 

Der Augenblick des Friedens

Solche Momente des Friedens erleben wir oft ganz unbewusst: ein Hund, den wir streicheln, eine Katze, die sich an uns schmiegt, das Gefühl von Sand zwischen den Zehen, während wir barfuß am Strand entlanglaufen, die warme Sonne auf der Haut oder der Blick in den Himmel, der uns einfach überwältigt. Diese scheinbar einfachen, kleinen Dinge lassen uns spüren, was es heißt, im Moment zu sein.

Für viele Menschen, die traumatische Kindheitserfahrungen gemacht haben, können Worte wie Frieden, Liebe oder Freude schwer fassbar sein. Vielleicht fühlen sie sich eher mit dem Begriff Sicherheit verbunden. Doch auch hier beginnt der Weg. Wenn wir uns ein Bild vorstellen, das dieses Gefühl von Sicherheit in uns hervorruft – was sehen wir? Wo spüren wir es in unserem Körper? Genau hier beginnt der Weg, das tiefere Gefühl des Seins zu verankern.

Diese Bilder und Empfindungen sind wie kleine Trittsteine, die uns zu einer tieferen, wahrhaftigen Erfahrung führen. Wenn wir mit etwas beginnen, das eine starke energetische Qualität in unserem Körper hat, dann spüren wir, wie wir wirklich aufblühen – als Ganzes.

 

Ganzheit erleben

Erinnerst du dich an den Moment, in dem du aus tiefstem Herzen Ich liebe dich gesagt hast? Diese sanfte Welle, die sich durch deinen Körper ausbreitet, warm und leuchtend, als würde sie dich umhüllen. Deine Augen werden weich, dein Atem ruhiger. Plötzlich ist alles so einfach. So vollkommen. Ohne dass du irgendetwas tun musst. Du lehnst dich zurück, lässt los – und für einen kurzen Augenblick scheint der Raum um dich stillzustehen.

Genau dieses Gefühl begegnet uns auch in diesem magischen Moment zwischen Wachsein und Schlaf – wenn der Körper sich langsam aufgibt, wenn die Gedanken leiser werden. Wir verlassen das ewige Kreisen des Verstandes und gleiten in eine grenzenlose Stille, die uns einfach sein lässt. Keine Sorgen, kein Ego, das uns in Rollen zwängt. Nur Weite. Nur Frieden.

Und hier, in dieser Schwerelosigkeit, geschieht etwas Wundervolles: Wir müssen nichts mehr kontrollieren. Müssen nichts mehr festhalten. Stattdessen öffnet sich eine tiefere Wahrheit – eine, die immer da war. Dass wir vollständig sind. Ganz. Unendlich.

Auf einmal betrachten wir uns mit neuer Sanftheit – nicht als etwas, das korrigiert oder verbessert werden muss, sondern als Teil eines größeren Ganzen. In dieser stillen Weite entfaltet sich Mitgefühl – eine Wärme, die nicht nur nach außen strahlt, sondern auch uns selbst umarmt. Eine Liebe, die nichts fordert, nichts erwartet. Sie existiert einfach – bedingungslos und vollkommen.

 

Übung zum Nachspüren

Nimm die Geräusche in der Umgebung wahr. Beginne mit den weiter entfernten Klängen und bringe deine Wahrnehmung dann schrittweise zu den näheren Tönen. Nimm sie einfach wahr, ohne zu bewerten oder zu urteilen. Lenke nun deine Aufmerksamkeit auf den Körper und spüre in die Stellen, wo Spannungen festgehalten werden. Beginne mit dem Kiefer, dem Nacken, den Schultern und den Armen. Spüre sie und erlaube dir, sie sanft loszulassen. Fühle, wie dein Atem sanft in den Bauchraum fließt, und lass ihn in einen natürlichen, ruhigeren Rhythmus übergehen. Dein Atem wird langsamer, tiefer und ruhiger, während du in den Prozess hinein sinkst. Du bist nicht mehr der Atmende – du wirst zum Beobachter, der einfach spürt, wie der Körper von selbst atmet. Erlaube dem Körper, sich tief zu entspannen, während du in einer ruhigen, achtsamen Präsenz bleibst. Es braucht keine Anstrengung. Mühelosigkeit ist der Schlüssel zur Ganzheit. Lasse einfach zu, dass der Körper sich tief ausruht, während du achtsam bleibst, ohne etwas erreichen zu wollen.

Podcast-Meditation: Zärtlichkeit – Ein Weg zur Ganzheit


Gerald Blomeyer, Berlin am 10. März 2025

 

 

Bild von Velizar Ivanov auf unsplash

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