„Dieses Yoga, geboren aus meditativer Erfahrung… oh Freude! Dieser Tanz aus Springen und Laufen… oh Freude!“ – Milarepa (1040-1123), tibetischer Yogi
„Bei der Improvisation gibt es keine Fehler.“ – Miles Davis (1926-1991), amerikanischer Jazztrompeter
Vom achtsamen Atmen zur achtsamen Bewegung
Am Anfang der Meditation rollen unsere Gedanken heran wie unaufhaltsame Wellen, brechen an unseren Zweifeln und überspülen jede Mühe, Ruhe zu finden. Oder wir versinken in Trägheit, als wären wir vom Nebel eingehüllt. Wir kehren immer wieder zum Atem zurück, holen uns sanft, aber bestimmt aus dem Chaos zurück ins Jetzt. Jede Rückkehr ist ein leiser Sieg; jeder Atemzug ein Anker, der uns hält und stärkt. Irgendwann spiegeln sich Ruhe und Klarheit im Atem wider, wie eine stille Wasseroberfläche nach einem Sturm.
Doch Meditation ist auch Bewegung. Das yogische Modell erkennt, dass unser Körper ein Tor zur Achtsamkeit ist. Anstatt gegen die Unruhe anzukämpfen, nehmen wir sie an, lassen uns auf den Fluss ein. Keine starre Kontrolle, kein Perfektionszwang. Wir folgen dem Körper, vertrauen ihm, statt ihn zu bändigen. Bewegung wird zum Ausdruck, zur Befreiung.
Willa Baker beschreibt in „The Wakeful Body“ eine Praxis, die Yoga, Wandern, Joggen, Schwimmen, sogar Klettern und Surfen umfasst. Andere finden Achtsamkeit im Golf, im Tanzen, selbst im Gewichtheben. Die Bewegung ist dabei nicht das Ziel, sondern das Mittel, um mit sich selbst in Kontakt zu treten. Wenn wir den Körper trainieren, trainieren wir auch unser Bewusstsein. Atem, Energie, Konzentration verschmelzen. Und inmitten der Bewegung tritt plötzlich Stille ein, ein tiefer, freudvoller Flow, in dem das Leben uns pulsiert.
Der Lindy Hop heißt das Unerwartete willkommen
Improvisation ist ein Tanz mit dem Unbekannten. Ein zögernder Schritt, ein mutiges Nachgeben, ein Sich-fallen-Lassen in den Moment. Regeln geben uns Halt, aber es sind die ungeplanten Augenblicke, die den Tanz lebendig machen.
Vergangenes Wochenende stand ich auf einer Tanzfläche und versuchte meine ersten Lindy-Hop-Schritte. Ich war verkrampft, wollte alles „richtig“ machen, hielt an gelernten Mustern fest. Doch Stunde um Stunde lernte ich, loszulassen. Fehler wurden Teil des Rhythmus und Augenblicke verwandelten sich, Unsicherheit in Leichtigkeit. Ich wurde nicht besser, sondern freier. Und wenn da nur noch die Musik und der Körper da waren, tauchte ich für einen Augenblick in den Flow ein und spürte die reine Freude an der Bewegung.
Im Loslassen finden wir uns selbst wieder.
Wenn wir aufhören, uns an Perfektion zu klammern, beginnen wir, uns selbst zu entdecken. Wir spüren den Rhythmus, der uns durchströmt, und erkennen, dass es nie um Kontrolle ging, sondern um Hingabe. Der Tanz, die Musik, der Partner – für einen kurzen Moment wird alles eins. Die Kunst der Improvisation ähnelt der der Meditation: Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen, sondern sich ganz auf das Jetzt einzulassen. In diesem Loslassen erleben wir wahre Leichtigkeit und Freude. Denn Kreativität entsteht im Unerwarteten. Und ebenso entfaltet sich das Leben.
Nachspüren
Bewegung in Meditation transformieren nach Willa Baker
Löse die Trennung zwischen Atem und Geist auf und werde dir der Lebendigkeit deines Körpers bewusst. Wenn sich dein Körper bewegt, ist die Lebenskraft aktiv und hell. Lass jegliche Anstrengung los und öffne dich der Bewegung. Lass das Laufen laufen, das Schwimmen schwimmen, das Tanzen tanzen. Lass Körper und Geist zur Einheit werden.
Anmerkung
Lindy Hop ist ein Swing-Tanz aus den 1930er Jahren in den USA und gilt als Vorläufer von Jive, Boogie-Woogie und dem akrobatischen Rock ’n’ Roll. Er wird oft als „Gute-Laune-Tanz“ beschrieben, weil er zum Improvisieren einlädt und pure Lebensfreude versprüht.
Wir haben sechs Stunden Lindy Hop Basic in Hamburg geübt. Danke, liebe Andrea, Martina und Mark – und ein ganz besonderes Dankeschön an Ruby, die einen Raum voller Leichtigkeit geschaffen hat und ihn mit uns geteilt hat.
Podcast-Meditation Den Körper als die Welt erleben
Gerald Blomeyer, Berlin am 11. Februar 2025