Dalai Lama bei der sieben Tage dauernden Veranstaltung ‚Buddhas Weg zum Glück‘, Schneverdingen, 1998 –
hier mit Eva Etta und Gerald Blomeyer (c) Jens Nagels
„Liebe tröstet, wie Sonnenschein nach Regen.“ – William Shakespeare (1564–1616), englischer Dichter
Das Leben passiert einfach.
Der Pfeil der Zeit zieht immer weiter, ohne Rücksicht. Wir können nichts tun, um ihn aufzuhalten. Vor zwanzig Jahren pflegte ich meine Frau Eva Etta (1948–2005) für ein Jahr, während der Tod immer näher rückte. Wir versuchten, das Unvermeidliche zu verstehen – ihr Sterben lehrte uns mehr als wir uns je hätten vorstellen können. Der Tod wurde unser Lehrmeister, der uns half, uns auf den Abschied vorzubereiten, damit wir nicht völlig überrascht wären, wenn er schließlich kam.
Im Inneren suchten wir Heilung für den Schmerz und für den Verlust, der unausweichlich war. Wir versuchten, eine Balance zu finden, uns dem Schmerz mit Vertrauen zu stellen – durch Annehmen, Vergebung, Dankbarkeit und Liebe. Und das bedeutete, geduldig zu sein. Sehr geduldig.
In diesem Jahr, das uns mehr forderte als alles andere, lernte ich, „Reframing“ zu praktizieren und all das Schlechte in etwas Positives umzuwandeln. Das gab mir Trost und Hoffnung. Die Wunden führten mich zu einer Liebe, die über das hinausgeht, was man mit Worten ausdrücken kann – eine Liebe, die ein Zustand des Seins ist. Die Welt, so wie wir sie kennen, erschien mir plötzlich wie eine Illusion. Und so lernte ich, Wut, Angst und Sorgen in der Weite der liebevollen Güte zu halten. Ich bin dankbar für alles, was ich in dieser Zeit lernen durfte, aber trotzdem – ich fühlte ich mich nicht geerdet. Es war schwer, mich selbst zu erkennen, besonders in Bezug auf meine Identität. Denn diese hatte ich immer durch unsere Liebe definiert. Und als sie mich verließ, war ein Teil verloren.
Trauer als tief persönlicher und transformierender Prozess
Der Trost – der wahre Trost – ist jener Moment, in dem wir uns diesem Zittern entgegenstellen, in dem wir den Versuch wagen, uns gegen das Auflösen im Schmerz zu stemmen. Es ist der kleine, kraftvolle Widerstand gegen das Resignieren, wenn das Leben uns das nimmt, was uns am meisten bedeutet. Der amerikanische Autor und Mitbegründer der Hospizbewegung, Stephen Levine (1937–2016), beschrieb den Schmerz des Verlusts als einen Heilungsprozess, in dem der Verlust in unser Leben integriert wird. Wir sind gefordert, unserem Schmerz vollständig zu begegnen und ihn mit Mitgefühl und Zärtlichkeit anzunehmen. Denn Trauer ist eine Form der Liebe und zugleich eine Weise, die verstorbene Person zu ehren.
Levine betonte, dass Leben und Tod tief und intim miteinander verbunden sind. Um wirklich zu leben, müssen wir uns mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. Indem wir die Tiefe unserer Trauer erfahren, können wir beginnen, uns zu transformieren. Es ist ein Prozess, der uns lehren kann, die Rohheit unserer Gefühle anzunehmen, ohne vor ihnen davonzulaufen. Unser Schmerz ist nichts, was „behoben“ werden muss, sondern ein Teil des weiten, komplexen Tanzes von Leben und Tod. Mit Mitgefühl für uns selbst und für den Verstorbenen können wir unsere Trauer mit offenem Herzen annehmen und daraus wachsen.
Trost und Hoffnung sind untrennbar
Wir kondolieren. Ein Wort, das tief in der Geschichte verwurzelt ist und aus dem Lateinischen kommt – condolere, mitfühlen, teilhaben am Leid des anderen. Doch Trost ist mehr, Trost ist der Versuch, mit dem Schmerz umzugehen, ihn zu teilen oder wenigstens zu ertragen. Was wir alle suchen, ist ein Weg, weiterzumachen, das Leben wieder lebenswert zu sehen, auch wenn es uns manchmal unendlich schwerfällt. Hoffnung ist der Glaube, dass wir von unseren Verlusten und Enttäuschungen wieder aufstehen können, dass der Schmerz uns nicht für immer definieren wird. Hoffnung ist die Erkenntnis, dass die Zeit, die uns noch bleibt, Chancen bietet, auch wenn diese Chancen nicht immer in der Form kommen, die wir uns wünschen. Es gibt Verluste, die für immer bleiben, Narben, die niemals ganz verblassen. Doch wir leben weiter, weil wir in der Hoffnung leben, dass der Schmerz nicht das Ende ist, sondern der Anfang von etwas, das wir noch nicht verstehen. Es ist der Moment, in dem wir begreifen, dass wir das, was wir verloren haben, auch in uns tragen. Trost ist, sich selbst in dieser Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung zu finden und zu akzeptieren, dass es kein „richtiges“ Ende gibt. Schmerz und Freude, Verlust und Weiterleben sind miteinander verflochten. Vielleicht ist der tiefste Trost genau das: zu verstehen, dass wir selbst der Fluss der Zeit sind – immer in Bewegung, immer im Wandel, nie endgültig.
Nachspüren
Wann hast du das letzte Mal Trost in einem Moment der Verzweiflung gefunden? Was hat dir geholfen, mit der Situation umzugehen? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Gefühl der Hoffnung und dem Gefühl des Trostes? Sind sie eher zwei Seiten derselben Medaille oder unterscheiden sie sich?
Podcast-Meditation Trauer-Mitgefühl-Meditation
Gerald Blomeyer, Berlin am 28. Januar 2025