„Wenn wir nichts erwarten, können wir wir selbst sein.“ – Shunryū Suzuki (1905- 1971), japanischer Mönch, der Zen-Buddhismus in den USA lehrte
Selbstzweifel
Manchmal stehen wir an einem Abgrund, ein stiller, fast unsichtbarer Augenblick, wenn der Alltag ins Leere zu führen scheint. Wir fragen uns: „War es das? War es das wert?“ Und während wir uns ein wenig verloren fühlen, hören wir plötzlich eine leise Stimme. „Du bist genug.“ Einfach. Klar. Fast beiläufig.
Diese Antwort überrascht. Kein Plan, keine Lösung. Nur diese unaufgeregte Bestätigung. Und für einen Moment, fühlt es sich ruhig an. All die Anstrengung, das Streben, das Grübeln – sie versuchten nur, den Augenblick zu übertönen, der uns sagt, dass wir immer schon genug waren. Die Welt, wie sie ist, reicht aus. Wir müssen uns nicht hetzen, nicht besser werden. Der wahre Weg zeigt uns, dass wir nie wirklich verloren waren.
„Du bist genug.“ Diesmal hören wir nicht nur die Worte, sondern auch die Stille, die sie mit sich bringt. Und langsam beginnt es zu wirken. Die Antwort, die wir suchten, ist kein lauter Erfolg, sondern das leise, kraftvolle Wissen, dass wir hier und jetzt vollständig sind. Die Ganzheit ist entweder jetzt hier oder nie. Dies ist der Augenblick, an dem wir wirklich anfangen zu leben, an dem wir aufhören zu definieren und beginnen, einfach zu sein.
Doch mein innerer Kritiker ist unbarmherzig. Er flüstert mir zu: „Du wirst alles verlieren, mittellos und verlassen enden.“ Diese Stimme nagt an mir, erzählt Geschichten, die mich verunsichern und klein machen. „Du bist nicht gut genug“, sagt er, und ich beginne zu glauben, dass das Stirnrunzeln eines Fremden ein Urteil über meine Fähigkeiten ist.
Der innere Kritiker setzt Grenzen, um uns zu schützen.
Doch allzu oft nährt er Schuld und Scham und zieht uns in einen Teufelskreis, der uns glauben lässt, wir seien nicht genug. Aus Selbstzweifeln heraus suchen wir nach äußeren Schuldigen für unsere Gefühle, während wir innerlich verzweifelt nach Bestätigung rufen. Es ist wie eine düstere Playlist, die ein heimtückischer DJ auf Repeat gestellt hat. Solange jedoch im Hintergrund diese konstante Kampagne des Elends in unserem Kopf abläuft, jammern wir, heben wir das Schlechte oder Unglückliche hervor, ohne zu merken, dass wir mit uns selbst sprechen. Wenn wir ständig das hervorheben, was nicht gut genug ist, fällt es uns schwer, Komplimente, Geschenke oder Liebe anzunehmen. Es gibt eine enge Verbindung zwischen der Angst, nicht zu genügen, und der Blockade von Liebe. Es ist, als ob eine geschlossene Tür zwischen uns und anderen Personen steht. Schwingtüren jedoch, die sich in beide Richtungen öffnen, symbolisieren, dass es einfacher ist, Liebe zu geben und zu empfangen. Denn wir sind gut darin, Liebe und Unterstützung zu geben, haben aber Schwierigkeiten, sie anzunehmen.
Die Zukunft ist ergebnisoffen.
Können wir diesen Kritiker in einen mitfühlenden Coach verwandeln, der mit ehrlicher, sanfter Freundlichkeit spricht? Bei einem Fehler atmen wir tief durch und sagen: „Das ist passiert. Davon geht die Welt nicht unter.“ Unvollkommenheit ist kein Feind, sondern unser Lehrmeister – jede Macke, jeder Fehltritt ein Puzzleteil auf dem Weg zu etwas Großartigem. Wir heißen mehr Selbstliebe willkommen: Wir sind nicht perfekt, und das ist gut so. Es ist unsere Menschlichkeit, die uns wertvoll macht.
Ironischerweise habe ich in diesem Jahr viel erreicht, doch für meinen inneren Kritiker sind diese Erfolge unsichtbar und die Fehler übergroß. „Hey“, sagte ich zu mir, „ich habe heute hart gearbeitet. Es war einfach nicht alles zu schaffen.“ Ich machte mir einen Tee – Earl Grey, natürlich – und lächelte. Ich bin mehr als meine Leistung. Das Leben ist chaotisch, wunderbar und großartig – genau so, wie es ist. Diese alten Gefühle der Unzulänglichkeit – die Angst, nicht gut genug zu sein, der Schmerz, der mich von innen zerreißt – kenne ich gut. Aber das gehört dazu. Das Leben ist unvorhersehbar, voller Höhen und Tiefen, und beides ist völlig in Ordnung. Meine Tränen und Zweifel haben mich hierhergebracht – auf dieser holprigen Straße voller Kurven und unerwarteter Wendungen. Und genau das macht es so aufregend. In diesem Moment, genau so wie ich bin, erinnere ich mich daran: Ich bin in Frieden mit mir selbst. Ich bin genug.
Nachspüren
Den inneren Kritiker zu verstehen, ermöglicht es uns, in herausfordernden Situationen zu wachsen und auch anderen zu helfen, dies zu tun. Wann hat sich dein innerer Kritiker zuletzt zu Wort gemeldet? Was hat er oder sie dir gesagt?
Postcast-Meditation Zähme den Inneren Kritiker
Gerald Blomeyer, Berlin am 10. Dezember 2024
Foto Lidia M