Mit Gelassenheit sterben
„Heilung bringt Mitgefühl in das, wovon wir uns durch Urteil und Hass abgewandt haben. Sie bringt Bewusstsein in jene Orte, die verhärtet, betäubt und verletzt sind.“ – Stephen Levine, US Sterbebegleiter und Philosoph
Wir können nichts loslassen, das wir nicht zuvor akzeptiert haben.
Hingabe bedeutet, den vergangenen Moment loszulassen und sich dem nächsten zu öffnen – eine kraftvolle Strategie sowohl für das Leben als auch für den Tod. Es geht darum, in jeder Situation loszulassen, Widerstand aufzugeben und dem Prozess zu vertrauen, wodurch wir Verantwortung für unser Dasein übernehmen. Schmerz, Trauer oder der Verlust von Sicherheit können verborgene Ängste ans Licht bringen und Leid für uns und andere verursachen. Wie der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung sagte: „Wir können nichts ändern, wenn wir es nicht akzeptieren.“ Ohne Akzeptanz reagieren wir mit Ablehnung und negativer Anhaftung auf das, was uns belastet. Verantwortung bedeutet, bewusst und achtsam zu handeln, statt nur gewohnheitsmäßig zu reagieren. Menschen auf ihrem Sterbebett sind oft von Angst und dem Gefühl geplagt, nicht genug zu sein. Ihnen hilft es, sich mit etwas Größerem als sich selbst zu verbinden. So fühlte sich meine verstorbene Frau Eva Etta mit allen verbunden, die an Krebs litten, und praktizierte eine Mitgefühlsmeditation (Tonglen), um das Leid anderer auf sich zu nehmen. Letztlich ist es das Herz, das diese Praxis trägt. Menschen, die bereit sind, über ihr eigenes Selbst hinauszugehen, finden im Angesicht des Todes oft mehr Frieden.
Wir erleben eine heilige Trauer im Sterben
Wenn wir in die Augen unserer Kinder, Lieben, Lehrer schauen, sind wir dankbar: „Danke, das war so wunderbar. Ich würde gerne bleiben, aber nun gehe ich.“ Mit Vertrauen in den Prozess, können wir jemanden in Ruhe sterben lassen. Der Tod ist nur eine Erfahrung im Leben. Wir sterben nicht, wenn wir sterben. Meine sterbende Frau sagte: „Jetzt kann ich gehen. Meine Lehrer sind da.“ Dieser Moment, den wir Tod nennen, war für sie leicht. Durch Meditation weiß ich, dass wir einen Raum erreichen, der nicht erschaffen ist und nicht zerstört werden kann. Es ist einfach „So-sein“. Ich weiß nicht, was danach passiert, aber ich habe ein starkes Gefühl, dass wir immer wiederkommen.
Es ist in Ordnung, nicht alles zu wissen.
Wir erschaffen unsere Realität nicht durch unsere Gedanken, sondern beeinflussen sie lediglich. Verantwortung bedeutet, sich den Herausforderungen des Lebens – wie Krankheit oder Schmerz – zu stellen, ohne sich selbst dafür die Schuld zu geben. Die Vorstellung, für alles im Leben verantwortlich zu sein, ist toxisch und nährt Schuldgefühle anstelle von Heilung. Wenn ich Kompromisse unausgesprochen hinnehme und herunterschlucke, kann das Ursachen für körperliche Beschwerden, wie Ischias-Schmerzen, schaffen. Wenn wir die Leere der Dinge erkennen, begreifen wir, dass nichts isoliert existiert – alles ist Teil eines sich ständig wandelnden Prozesses. Jede Begegnung ist ein Zusammenspiel von Energien, die sich unaufhörlich verändern und kein festes Selbst besitzen. Diese Erkenntnis der Verbundenheit offenbart unsere Verantwortung für alles, was ist, und verbindet uns mit dem gemeinsamen Fluss des Seins, in dem wir alle miteinander treiben.
Podcast-Meditation So-sein
Gerald Blomeyer, Berlin am 17. September 2024
Aktuell: „Wissenschaft und Medizin haben unser Verständnis des Todes erheblich weiterentwickelt. (…) Es gibt eine Gewissheit im Leben, und das ist, dass der Tod selbst nicht das ist, was wir dachten. Er scheint einfach der Anfang von etwas zu sein.“
Rethinking Death: Exploring What Happens When We Die
Foto von Mathias Reding auf Unsplash