„Unsere Erinnerungen sind konstruiert. Sie werden neu geschaffen. Mehr als ein Aufnahmegerät ähnelt das Gedächtnis einer Wikipedia-Seite, wo wir die vorhandenen Informationen verändern können. Und nicht nur wir; auch andere können sie verändern.“ –Elisabeth Loftus und ihrTED talk

 

Die Fähigkeit zu vergessen hilft uns, Prioritäten zu setzen, besser zu denken, Entscheidungen zu treffen und kreativer zu sein. Normales Vergessen … gibt uns die geistige Flexibilität, abstrakte Konzepte aus einem Wust gespeicherter Informationen herauszufiltern.“ –Scott A. Small, Forgetting: The Benefits of Not Remembering

 

Wir wollen die Welt verstehen, nicht uns an alles erinnern

 
Alles, was wir aufmerksam tun, ist geprägt vom Erinnern. Die Neuropsychologie sieht das Gedächtnis als einen dynamischen Prozess, wobei einige Teile der ursprünglichen Erinnerung vergessen und andere Teile stabiler und kohärenter werden. Erinnerungen sind oft unzuverlässig, weil sie nachträglich, etwa durch neue Informationen, verzerrt werden können. Erinnerungen sind eine erdachte Realität, in die unser Gehirn eine Kohärenz zu schaffen sucht, indem es die Lücken zwischen den Konzepten füllt. Wir erinnern uns also nicht, sondern bauen immer wieder Erinnerungen neu auf. Unsere Wahrnehmung der Welt ist von der Sekunde an unzuverlässig, wo wir etwas zum ersten Mal aufzeichnen. Indem wir achtsam sind, üben wir mit dem Kurzzeitgedächtnis, die Gegenwart aufmerksam wahrzunehmen und zu bewerten. Darüber hinaus haben wir ein autobiografisches Gedächtnis, das unseren Selbstwert bestimmt. Dabei können Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend unsere Entscheidungen auch als Erwachsene beeinflussen. Beim achtsamen Hinhören, können wir die Geschichten hinter den Geschichten entdecken.

 

Wer Irrelevantes vergisst, kann sich an Relevantes besser erinnern

Es ist erstaunlich, dass wir Schmerzen vergessen. Wir können auch aktiv vergessen, indem wir uns entscheiden, Ärger, Groll und vergangene Enttäuschungen loszulassen. Je länger wir über eine verletzende Erinnerung grübeln, desto stärker werden die neuronalen Verbindungen. Wenn wir Kummer haben, leiden wir und vergessen, dass wir mit dem Leben und miteinander verbunden sind. Freude hingegen verbindet die Erinnerung an einen gelungenen Kontakt zu anderen. Mit Erinnerungen und Erwartungen schaffen wir einen Raum, in dem wir die subjektive Zeit messen und speichern. Da unser Denken trennt und vergleicht, ist es schwer, selbstgenügsam zu sein. Wir sehnen uns danach, uns vollständig zu fühlen, die Distanz zwischen uns und einem Objekt aufzuheben. Die einzig gültige Zeitform dafür ist die Gegenwart, das Jetzt. Wenn wir präsent sind, können wir neugierig sein, ohne etwas zu erwarten. Wie das Sprichwort sagt, wir müssen vergessen, um zu vergeben. Achtsam zu vergessen ist eine Entscheidung, die wir täglich treffen können. Das ist jedoch schwer, wenn bei Zwangsstörungen, Angstzuständen oder dem posttraumatischen Syndrom das emotionale Gedächtnis mit Signalen überflutet wird. Die Lösung für jede schmerzhafte Erinnerung, die zu heiß brennt, besteht darin, sozial zu bleiben, Freundschaft und Liebe zu suchen und sich auf das Leben einzulassen. Soziale Interaktionen dämpfen den Teil des Gehirns, der zu viele emotionale Erinnerungen speichert.

 

Ist unser Glück von Verlustangst bedroht?

Das Leben steht nie still. Wir wollen uns sicher fühlen und richten unser Verlangen deshalb nicht immer auf Neues, sondern häufig auf etwas, das wir kennen. Wir glauben, dass es uns mit dem verbindet, was uns glücklich macht. Für Hannah Arendt war Verlustangst immer mit im Spiel, wenn wir etwas oder jemand  lieben oder begehren: „Solange wir zeitliche Dinge begehren, sind wir ständig bedroht, sie zu verlieren. Unsere Angst vor dem Verlust entspricht immer unserem Wunsch sie zu haben.“ Da alles entsteht und vergeht, binden wir uns an eine Zukunft voller Ungewissheit. Das raubt dem gegenwärtigen Augenblick die Ruhe. Wir können das Ersehnte nicht genießen, wenn sein Besitz unsicher ist. Um frei von Angst zu sein, brauchen wir Ruhe, die nicht durch künftige Ereignisse erschüttert werden kann. „Furchtlosigkeit ist das, wonach die Liebe strebt.“ Das ist die Essenz, deren wir uns aber häufig nicht bewusst sind: das Bewusstsein ist unsere Quelle, die alles willkommen heißt. Am Montag werden wir die Meditation Frieden mit sich selbst schließen (Kieselstein-Meditation) üben. (Für iPhon auf Spotify)
 

Nachspüren

Von welchen Geschichten willst du dich trennen, um dein Leben freudvoll zu gestalten?Wann fühlst du dich als Opfer?Für welche Geschichten willst du die Verantwortung übernehmen?Fällt es dir schwer, in Beziehungen Grenzen zu setzen?

 

 

Gerald Blomeyer, Berlin, Ostermontag 2023

 

Photo by sarandy westfall on Unsplash

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