The ultimate nature of mind is clear light.” — Dalai Lama

Denken und bewusst sein – ist das nicht ein- und dasselbe? Da gibt es einen entscheidenden Unterschied: Wir haben Gedanken und wir sind uns derer bewusst. Das eine kann in Worten, das andere kann nicht in Worten ausgedrückt sondern nur erfahren werden. Von Natur aus ist unser Bewusstsein immer wach und weit. In der Stille erkennen wir die Klarheit. Um das zu erleben, meditieren wir im Sitzen mit einem ruhigen Geist. Der Körper spiegelt unseren Geisteszustand wider. Der amerikanische Meditationslehrer Joseph Goldstein fordert uns auf, in der Meditation uns des Körpers bewusst zu sein. Der Satz „es gibt einen Körper“, erlaubt es uns, zu entspannen und zu erkennen, dass wir sitzen. Wir wollen aufmerksam sein und uns mit dem Gefühl des sitzenden Körpers, nicht mit dem Konzept eines „Selbst“, verbinden. Das ermöglicht uns, all dessen bewusst zu sein, was im Körper entsteht. Wir sind uns des Atems bewusst, der kommt und geht, der Klänge und Emotionen, die erscheinen und vergehen. Wir erkennen die Bewegungen dieser Empfindungen in der Stille, ohne uns auf ein bestimmtes Objekt zu konzentrieren. Der gefühlte Körper hält den Geist im Gleichgewicht.
 
Des Körpers bewusst

Unser Verstand benennt Dinge und verdinglicht sie auf diese Weise. Das engt uns ein. Um einen Schritt zurückzutreten, lernen wir, entspannt zu sitzen und auf die Empfindungen von Haut, Muskeln und Sehnen, auf die gesamte Körpererfahrung zu achten. Wir sitzen und sind uns der Ganzheit der Erfahrung des Sitzens bewusst, spüren Präsenz, Haltung, Gewicht und andere Empfindungen von Augenblick zu Augenblick. Indem wir den Körper entspannen, befreien wir uns von gewohnheitsmäßigen Tendenzen und negativen Emotionen. Teile des Körpers spannen sich an, wenn Gedanken oder Gefühle auftauchen. Sind wir jedoch im Augenblick wach und klar, lösen sie sich auf. Das Denken lässt nach, wenn wir uns der Ganzheit des Körpers bewusst sind. Mit zunehmender Entspannung, spüren wir uns geerdet und können nachspüren, ohne eine Antwort zu suchen. Woher kommen die Gedanken? Wohin gehen sie? Die Konzentration, die dabei entwickelt wird, hat eine offene, natürliche und klare Präsenz, die von Weisheit durchdrungen ist.
 
Einlassen

Wenn das Denken und unsere Ichbezogenheit nachlässt, können wir das Bewusstseinsfeld des Körpers ausdehnen und die Umgebung einbeziehen. Innen und Außen werden eins, der Raum grenzenlos. Anfangs scheinen Geräusche noch aus einer bestimmten Richtung zu kommen. Doch je weiter wir uns ausdehnen, desto mehr verblassen sie. Wir werden eins mit der Umgebung, in der wir sitzen. Jenseits von Worten und Beschreibungen entsteht eine Intimität mit allem, was uns umgibt. Hören wir einen Vogel, werden wir zum Vogel. Alles wird ein Teil von uns, und wir sind ein Teil von ihnen. Die ganze Welt wird zu unserem Körper, der sitzt. Es gibt nur die Offenheit des Geistes, klar und unendlich. Man spricht von der Erfahrung des „großen Selbst“, bei dem wir uns als unendliches Licht und mit allem eins erleben. In der Weite des Bewusstseins erleben wir noch eine sehr subtile Form des Selbst. Diese Zustände sind mit Gefühlen von Glück und Freiheit verbunden, die wir festhalten wollen. Anfangs dauern diese Zustände nur kurz. 

Offener Geist und offenes Herz

Wer weiter übt, erlebt einen klaren, unbewegten Geist und ein offenes Herz, mit dem wir intuitiv auf die Bedürfnisse anderer eingehen können, ohne uns etwas einfallen zu lassen. Der buddhistische Lehrer Guo Gu, Professor für chinesischen Buddhismus an der Florida State University, beschreibt: „Es ist, als würden tausend Pfund von unseren Schultern fallen. Das ist die schwere Last der Selbstanhaftung, des Ärgers und unserer Gewohnheiten, die tief verwurzelt sind.“ Wichtig sei zu üben, ohne ein Ergebnis anzustreben. Unsere Verblendung ist von der Erleuchtung nur durch einen Augenblick getrennt. Lösen wir uns von den Konstruktionen unseres Egos, können wir hinter den Schleier unserer Konzepte schauen, und die natürliche Freiheit des Augenblicks hier und jetzt erleben. Am Montag werden wir die Meditation „Es gibt einen Körper“ üben. (Podcast.de)

Gerald Blomeyer, Berlin, 24. Oktober 2022

Foto: Glienicker Park, Berlin, von Gundula Trogemann

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