„Plötzlich … Bumm! … Gewahrsein und Leerheit wurden eins, unteilbar, wie es immer ist. Aber das Erkennen war nie zuvor so vollkommen gewesen. Der letzte Schnipsel von Kohäsion rutschte weg. Das ganze Universum öffnete sich und wurde mit dem Bewusstsein vollkommen vereint. Kein begrifflicher Geist. Ich war nicht mehr innerhalb des Universums. Das Universum war innerhalb von mir. Kein vom Universum getrenntes Ich. Keine Richtung. Kein innerhalb oder außerhalb. Keine Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung. Kein Selbst oder Nicht-Selbst. Kein Leben, kein Sterben. Die inneren Bewegungen der Organe und Sinne fuhren bis auf ihre Minimalfunktionen herunter. Ich verstand noch immer, was vor sich ging, aber nicht durch Kommentar, Stimme oder Bild. Diese Art der Kognition zeigte sich nicht mehr. Die Klarheit und Lichthaftigkeit des Gewahrseins, jenseits von Begriffen, jenseits des fixierten Geistes, wurde zum ausschließlichen Instrument von Wissen. Ich war nicht mehr von der Empfindung eines definierten Körpers oder Geistes begrenzt.

Zwischen mir, meinem Geist, meiner Haut, meinem Körper und dem ganzen Rest der Welt gab es keine Trennung. Kein Phänomen existierte getrennt von mir. Erfahrungen fanden statt, aber nicht mehr durch ein separates Ich. Wahrnehmungen traten auf, aber ohne Rückbezug auf irgendjemanden. Überhaupt keine Bezüge. Keine Erinnerung. Wahrnehmungen, aber kein Wahrnehmender. Das Ich, das ich kürzlich gewesen war – krank, gesund, Bettler, Buddhist –, verschwand wie Wolken, die über einen sonnenbeschienenen Himmel ziehen. Meine Schädeldecke löste sich; mein Hören und mein Sehen wurden zu nur Hören, nur Sehen. Im besten Fall deuten Worte auf etwas jenseits des begrifflichen Geistes hin, die der begriffliche Geist nicht kennen kann. Das muss etwa gegen zwei Uhr morgens passiert sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir ein gewisses dualistisches Verständnis darüber bewahrt, was geschah.

In den folgenden fünf oder sechs Stunden hatte ich keine Berührung mit dem begrifflichen Geist. Mein Geist vermischte sich mit dem Raum wie ein in den Ozean fallender Tropfen Wasser, der unklar, grenzenlos und nicht erkennbar wird, obwohl es ihn noch immer gibt. Es ging nicht mehr darum, dass ich Bäume sah, denn ich war zu Bäumen geworden. Ich und Bäume waren eins. Bäume waren nicht das Objekt des Gewahrseins: Sie manifestierten das Gewahrsein. Sterne waren nicht das Objekt des Wohlgefallens, sondern das Wohlgefallen selbst. Kein getrenntes Ich liebte die Welt. Die Welt war Liebe. Mein perfektes Zuhause. Weit und intim. Jedes Teilchen sprühte vor Liebe, war liquide, fließend, ohne Barrieren. Ich war ein sprühendes Teilchen, kein interpretativer Geist, Klarheit jenseits von Gedanken. Pulsierend, energiegeladen, allsehend. Mein Gewahrsein ging nicht auf etwas zu, doch alles tauchte auf, gleich einem leeren Spiegel, der alles um sich herum aufnimmt und reflektiert. Eine Blume taucht im leeren Spiegel des Geistes auf, und der Geist nimmt ihr Vorhandensein ohne Zuneigung oder Ablehnung an. Es war, als könnte ich in die Unendlichkeit sehen, als könnte ich durch Bäume hindurchsehen, als könnte ich Bäume sein. Ich kann nicht einmal sagen, dass ich weiteratmete. Oder dass mein Herz weiterschlug. Es gab kein individuelles Irgendetwas, keine dualistische Wahrnehmung. Kein Körper, kein Geist, nur Bewusstsein. Die Tasse, die leeren Raum enthalten hatte, war zerbrochen, die Vase war zerborsten und löschte innen wie außen aus. Durch Meditieren hatte ich die Kind-Lichthaftigkeit erfahren, aber noch nie hatte ich eine so innige Vereinigung der Kind- und Mutter-Lichthaftigkeit erlebt – Leerheit, die Leerheit durchdringt, die Glückseligkeit von Liebe und Ruhe.“

Yongey Mingyur Rinpoche, Auf dem Weg: Eine Reise zum wahren Sinn des Lebens. Auszug aus: KAPITEL 28 Wenn die Tasse zerbricht
Die englische Ausgabe ist hier besprochen:

In Love with the World: A Monk’s Journey Through the Bardos of Living and Dying | Yongey Mingyur Rinpoche

Pin It on Pinterest

Share This