Wenn man Scham in eine Petrischale gibt, braucht sie drei Dinge, um exponentiell zu wachsen: Geheimhaltung, Schweigen und Verurteilung. Wenn man die gleiche Menge in eine Petrischale gibt und sie mit Mitgefühl übergießt, kann sie nicht überleben.“ – Brené Brown

„Ich dachte, es ginge nur mir so (aber das stimmt nicht): Auf dem Weg von „Was werden die Leute denken?“ zu „Ich bin genug“ – Brené Brown, Buchtitel

Das Thema Scham habe ich öfters angesprochen, etwa im Blogbeitrag Scham mit Mitgefühl auflösen. Es ist so wichtig, um unsere Gefühle zuzulassen, dass ich das Thema vertieft habe.

Scham ist universell
Wer nicht fähig ist, sich in andere einzufühlen, kann Scham nicht fühlen. Je weniger wir darüber sprechen, desto eher leiden wir unter sie. Scham drückt sich im Gefühl aus: „Ich bin nicht genug“ (nicht clever, dünn, reich, schön genug). Die amerikanische Forscherin Brené Brown definiert Scham „als das äußerst schmerzhafte Gefühl oder die Erfahrung, dass wir fehlerhaft und daher der Liebe und Zugehörigkeit unwürdig sind.“ Wer sich schämt, steht nicht zu sich, lehnt sich selber ab. Die Furcht, dass Leute schlecht über uns denken könnten, versuchen manche zu kompensieren, indem sie perfekt erscheinen wollen. Die Scham beeinträchtigt auch die Harmonie in den Beziehungen. Wer sich auf den Schmerz der Scham konzentriert, ist für andere nicht da. Es entsteht auf die Tendenz, uns zu isolieren und uns von der menschlichen Nähe zurückziehen, die wir brauchen.

Ausbeuter
Ein Problem der Scham ist, dass wir in den Augen der falschen Leute gut dastehen wollen. Wer Scham fühlt, kann skrupellose Menschen einladen, uns zu schikanieren. Dann können sie uns ihre Beurteilungsmaßstäbe aufzwingen und uns beschämen, wenn wir Dinge nicht unter Kontrolle haben. Brené Brown: „Mit Scham können wir das Verhalten eines Kindes schnell ändern, aber es zerstört ihr Selbstwertgefühl.“ „Ich bin scheiße. Ich bin ein schlechter Schüler.“ Wir würden einen Freund nicht so beschämen. Der Fokus von Scham liegt auf dem Selbst, nicht auf dem Verhalten. Selbstmitgefühl bedeutet, mit sich selbst so zu reden, wie man mit einem Freund reden würde. Bei welchen Menschen brauchen wir unsere Fehler nicht zu verbergen? Wenn wir unsere Fehler verheimlichen, verlieren wir das Vertrauen in uns und unserer Freunde, und wir versperren uns den Weg, indem wir lügen.

Scham glaubt, dass wir grundlegend fehlerhaft sind
Aus buddhistischer Sicht ist Scham eine Kraft, die uns einlädt, zu sehen, dass das Ego ein Prozess ist. Alles, was „uns“ scheinbar ausmacht, ist unbeständig. Doch anstatt unsere Unzulänglichkeit einzugestehen, nehmen wir diese Erfahrung persönlich und machen uns selbst nieder. In der Meditation arbeiten wir mit Scham als Energie, die sich nicht von Worten mitreißen lässt. Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf das Herz richten, können wir mit jedem Widerstand arbeiten. Wenn unser Geist in die Geschichte zurückfällt, kehren wir unsere Aufmerksamkeit zurück ins Herz und arbeiten weiter mit dem Widerstand. Wir geben die „Ich-Armes-Rhetorik“ des Egos auf, um uns mit dem Gefühl der Weite und Fülle zu verbinden. Es fordert zu vertrauen und Selbst-Mitgefühl zuzulassen. So gesehen ist Scham ein Tor zum Mitgefühl. Unser Geist ist von Natur aus rein und wird nur vorübergehend durch unsere Ungeschicklichkeit verdunkelt. Wenn wir erkennen, dass wir leiden, können wir es mit Selbstmitgefühl behandeln.

Die andere Seite von Scham ist Mitgefühl
Jeder von uns hat sein eigenes Maß an Schmerz. Manchmal ist er groß und offensichtlich, manchmal subtil. Indem wir uns schämen, können wir den Glauben daran verlieren, dass wir der Liebe würdig sind. Das Mitgefühl erinnert uns daran, dass wir zur Menschheit dazugehören. Wir sollten deshalb immer unserem Mitgefühl und der Selbstliebe vertrauen, um unsere Identität in Richtung der ursprünglichen Güte zu verschieben. Wer Mitgefühl für sich als Mensch entwickelt, kann mit größerer Freundlichkeit leben. Indem wir lernen unsere Schamgefühle mit Mitgefühl auszuhalten, können wir für uns besser zu sorgen und uns mit Toleranz und Freundlichkeit gegenüber anderen öffnen. Langsam und zärtlich können wir damit beginnen, uns an uns selbst als ein Kind zu erinnern, das Liebe und Mitgefühl verdient. Wir sind immer noch dasselbe Kind, das jetzt erwachsen ist. So lernen wir, unser eigenes Leben mit Liebe zu halten. Wir sind nicht das Gefühl der Scham, denn Gefühle gehen vorbei und zeigen uns, dass wir viel größer sind. Am Montag werden wir die Meditation Lebensfreude entdecken üben.

Gerald Blomeyer, Berlin, 20. September 2022

Image by John Hain from Pixabay

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