„ Wer errötet, fühlt sich schon schuldig. Die wahre Unschuld schämt sich nicht.“
– Jean-Jacques Rousseau
„Wenn wir die Geschichte begraben, bleiben wir für immer das Thema der Geschichte. Wenn wir uns die Geschichte zu eigen machen, können wir das Ende selbst bestimmen.“ – Brené Brown
„Shame is everywhere in #healthcare, but so taboo that we never talk about it. Now is time to change that.“ @thenocturnists 


Ob wir reich oder arm, übergewichtig oder dünn, erfolgreich oder erfolglos sind, gelegentlich schämen wir uns alle. Für die US-Forscherin und Autorin Brené Brown ist Scham „das äußerst schmerzhafte Gefühl, dass wir fehlerhaft sind. Wir fühlen deshalb nicht würdig, geliebt zu werden und dazuzugehören.“

Die Ursache erkennen

Scham ist ein soziales Gefühl, das Publikum braucht. Wenn wir gegen Normen verstoßen, an die wir glauben, schämen wir uns. Die Scham trifft uns dort, wo wir am verletzlichsten und am unsichersten sind. Sie wächst exponentiell, wenn wir sie geheim halten, unterdrücken oder verurteilen. Wenn wir uns schämen, schauen wir nach innen und sehen unser gesamtes Selbst in einem negativen Licht. Wir denken, dass wir tatsächlich schlecht sind, und sind besorgt, was andere über uns denken. Wenn wir uns entblößt und klein fühlen, können wir anderen nicht in die Augen schauen. Wir erröten, schwitzen, stottern und signalisieren so, dass wir unsere Fehler erkennen. Der innere Kritiker kann triumphieren: „Du bist ein Versager.“ „Wer will dich schon lieben?“

Nach Brené Brown schämen sich Frauen und Heranwachsende am meisten für ihren Körper. Das macht sie anfälliger für geringes Selbstwertgefühl oder Depressionen. Männern ist es peinlich, als schwach wahrgenommen zu werden. Es gilt also zu lernen, uns selbst und andere so zu akzeptieren, wie wir bzw. sie sind. Anders als Scham, erleben wir Schuldgefühle, wenn wir uns für eine konkrete Handlung verantwortlich fühlen.

Fremdscham für jemanden oder etwas empfinden.

Schämen steckt an. Wenn wir erleben, dass sich andere unbeholfen verhalten, leiden wir „aus zweiter Hand“ mit. Fremdschämen entsteht, indem wir deren Verhalten empathisch beobachten, unabhängig davon, ob sie sich dessen bewusst sind. In der Pubertät hilft Scham uns vom Umfeld abzugrenzen. Unsere Eltern können dann zu Personen der Fremdscham werden.

Mitgefühl ist die Lösung

Manchmal können wir eine tiefe Scham nicht einfach abschütteln. Die „Schamspirale“ taucht, sowohl in unseren Gedanken als auch stechend und brennend in der Brust, immer wieder auf. Erst wenn der Verstand loslässt und wir Verständnis für uns haben, kann sich die Scham verflüchtigen. Brené Brown schreibt in ihrem Buch Die Gaben der Unvollkommenheit, dass wer der Scham begegnet, ihr die Kraft nimmt. Sie löst sich auf, indem wir sie anerkennen und mitfühlend begrüßen. Indem wir mit vertrauten Menschen über unsere Scham sprechen, können wir sie transformieren. Dann können wir Freundlichkeit statt Härte walten lassen. Urteile über uns und andere sind Gedanken, die mit Abneigung beladen sind. Indem wir achtsam und präsent sind, können wir den inneren Kritiker entmachten.

Uns selber zu akzeptieren, macht uns weniger verletzlich. Wir sind, wer wir sind. Wer sein Selbstmitgefühl stärkt, braucht seine Scham weder zu verbergen noch den Schmerz mit Drogen oder Alkohol zu überdecken. Dann können wir für andere da sein, und sagen: „Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Wir erkennen, dass wir anders gehandelt hätten, wenn wir es gekonnt hätten. Indem wir Mitgefühl für uns haben, können wir andere verstehen, denen es genauso geht. Wir fühlen uns zusammengehörig. Das befreit.

Am Montag werden wir auch die Meditation „Zähme den inneren Kritiker“ üben.

Gerald Blomeyer, Berlin, 30. September 2021

 

Foto (c) Caleb Woods on Unsplash

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