Wenn du dich in dein Bewusstsein zurückziehst, hört die Welt auf, ein Problem zu sein. Sie ist nur das, was du beobachtest. Sie ändert sich ständig, ohne ein Problem zu sein. Je mehr du bereit bist, die Welt so sein zu lassen wie du sie bewusst erlebst, desto mehr wird sie dich sein lassen, wer du bist – das Bewusstsein, das Selbst, der Atman, die Seele.“ – Michael A. Singer

Nur wenn wir aufhören, das Glück in der objektiven Erfahrung zu suchen und dem Geist gestatten, immer tiefer in das Herz des Gewahrseins einzusinken, aus dem er entstanden ist, beginnen wir, den dauerhaften Frieden und die Erfüllung zu kosten, nach der wir uns unser ganzes Leben lang sehnen.“ – Rupert Spira


Unser Leben ist endlich. Das ist eine harte, aber ermutigende Wahrheit. Wir wollen uns wohlfühlen, streben nach Glück und wollen Schmerzen vermeiden. Doch wer sein Glück außen sucht und bekommt, merkt bald, dass es nur vorübergehend ist. Alles, was entsteht, vergeht. Wir hängen am eigenen Selbst und hoffen, uns sicher zu fühlen, indem wir etwas festhalten. Weil wir nicht verstehen, warum das nicht geht, leiden wir. Dabei ist auch das „Ich“, mit dem wir handeln und entscheiden, keine feste Größe. Es wandelt sich im Verlauf des Lebens. Im Buddhismus geht es darum, unser Leiden zu beenden, indem wir einerseits die alles durchdringende Unbeständigkeit verstehen und andererseits erkennen, dass Freude und Liebe unser Wesen sind. Das Glück liegt in uns.

„Form ist Leerheit, Leerheit ist Form“ (Herz-Sutra)

„Traditionell bezieht sich der Begriff Leerheit auf die Tatsache, dass Phänomene nicht so existieren, wie wir glauben, nämlich als freistehende, unabhängige, solide reale Entitäten,“ schreibt der US-Zenmeister Norman Fischer. „Alles ist wie der Raum, auf seine Weise real und absolut notwendig, aber nicht etwas, das man mit dem Finger anfassen kann.“ Alles, auch unser Selbst, ist nicht so, wie es scheint.

Alles existiert als feste Form und als etwas Vergängliches. Wir können Objekte mit einem gerichteten Fokus identifizieren, benennen und bewerten. Indem wir sie festmachen, übersehen wir leicht, dass sie sich verändern und verfallen. Der offene Fokus des Gewahrseins erlebt sie als leere Felder, auf die wir uns einlassen und mit denen wir eins werden können.

Als ich in Pokhara, Nepal, meine Schüler in den Buddhismus einführte, hatte ich die Einsicht, dass alles ein Prozess ist. Damals lösten sich bei Pokhara feste Berge in Erdrutsche auf. Sie blockierten die Flüsse, was wiederum massive Zerstörungen bewirkte. Bis dahin war ein Berg für mich ein festes Objekt, ich sah ihn nicht als einen Prozess an. Auch der Boden unter meinen Füßen und die Kaffeetasse in meiner Hand schienen bis dahin feste Körper zu sein. Physiker sehen jedoch alles als Energie, die sich bewegt. Moleküle und Atome schwingen im festen Zustand langsamer und im flüssigen oder gasförmigen Zustand schneller.

Bei Eis, Wasser und Dampf handelt es sich um Wasser in anderer Form. Die Tibeter sagen, wenn wir an unserem gewohnten, ängstlichen Selbst festhalten, sind wir wie ein Stück Eis. Wenn wir uns in unsere wahre Natur entspannen, können wir fließen wie Wasser. Unser zerstreuter Geist kann sich dann frei und natürlich sammeln. Indem wir uns darauf einlassen, können wir beginnen klar zu sehen.

Die materielle Welt erscheint im Bewusstsein

Schon als Baby sind wir bewusst. Bewusst zu sein, ermöglicht es uns, zu denken und zu handeln. Es ist die Grundlage jeder Erfahrung. Doch das ist schwer zu erkennen. Der tibetische Abt Thrangu Rinpoche weist auf die Herausforderung hin: „Wenn wir unseren Geist betrachten, ist er ohne Substanz. Obwohl die Substanz fehlt, ist er kein Nichts, sondern läßt uns erkennen. Wenn wir diese Substanzlosigkeit erfahren, sprechen wir von Leerheit. Gleichzeitig erfahren wir kognitive Klarheit. Das sind die zwei Aspekte, die wir erkennen. Was erkennt? Es ist unser Bewusstsein, das sich selbst erkennt.“

Die Meditation ermöglicht es uns, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht durch all unsere gewohnten Filter. Diese Erkenntnis „verbrennt“ alle Konzepte. „Aus buddhistischer Sicht“, sagt Lama Ringu Tulku „ist jedes Konzept, das wir haben, erdacht und deshalb nicht wahr.“ Wer an Konzepten festhält, wie „Alles ist Leerheit“ oder „Alles ist voneinander abhängig“, erfährt die Welt nicht unmittelbar sondern als Konzept. Wer sich hingegen entspannt und meditiert, kann erkennen, wie Gedanken, Emotionen und Erkenntnisse im Bewusstsein kommen und gehen. Dann können wir entspannt und offen sein. Am Montag werden wir uns auf die weite Stille einlassen, um anschließend über das zu meditieren, was wir uns für das neue Jahr wünschen.

Gerald Blomeyer, Berlin zum Jahresende 2021

Foto Neues Museum (c) Kimberley L. Bryant 2019

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