Zärtlichkeit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Es ist der Pfad der Solidarität, der Pfad der Demut.“ – Papst Franziskus, TED 2017

Zärtlichkeit ist mehr als nur ein Wohlgefühl. Sie ist eine geistige Haltung, mit der wir sanft – und nicht durch Härte – das eigentliche Potenzial des menschlichen Lebens freisetzen.“ – Isabella Guanzini



Mitfühlen ist warm, fürsorglich und zärtlich

„Sei doch mal ein bisschen zärtlich“, sagte die junge Frau zu mir. Ohne Erfahrung hatte ich Angst, sie zu enttäuschen und enttäuscht zu werden. Ich konnte weder meine Gefühle ausdrücken noch ihre verstehen. Mein Versuch, männlich und stark zu wirken, kam nicht gut an. Zum Glück lernte ich über die Jahre, den Druck abzubauen und meine Unsicherheit und Härte durch Vertrauen und Zärtlichkeit zu ersetzen. Anstelle davon erobern zu wollen, trat der Wunsch nach einer mitfühlenden Verbindung auf. Ich begriff, um zärtlich und tief zu spüren, braucht es Langsamkeit. Erst dann können wir gemeinsam Resonanz empfinden, die Freude des anderen unsere Freude und ihr Leid unser Leid werden. Manchmal ist dieses Glück unzuverlässig und schwer zu erhalten, denn wir können auch negativer gegenüber unseren „Liebsten“ sein als gegenüber anderen. Der Glanz der Zärtlichkeit bleibt ein verborgener Schatz, bis wir ihn erkennen und das Vertrauen haben, ihn präsent, in der Gegenwart und ohne Erwartungen zu leben.

Was wir zum Wohl anderer tun, öffnet unser Herz zu öffnen

Wir können nicht glücklich sein, wenn wir uns isolieren. Die polnische Psychologin, Autorin und Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk spricht vom „unkommunikativen Gefängnis des eigenen Ichs“. Zärtlich zu sein bedeutet, Gefühle zu teilen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Zärtlichkeit ist die bescheidenste Form der Liebe, die alles persönlich macht, was sie berührt. Wir erleben sie spontan, wenn wir aufmerksam ein anderes Wesen betrachten. Zärtlichkeit geht „über einfühlsames Mitgefühl hinaus, indem sie eine tiefe emotionale Anteilnahme an einem anderen Wesen, an seiner Zerbrechlichkeit, seiner Einzigartigkeit und seiner mangelnden Immunität gegenüber Leiden und den Auswirkungen der Zeit“ beinhaltet. Wir sind lebendig, miteinander verbunden und können entdecken, wie viel Wärme in dieser Welt vorhanden ist. Wir werden viele Wesen finden, denen wir begegnen wollen, und viele, die uns ebenfalls berühren können. Dies verbindet uns tief mit allen Wesen, auch wenn sie nicht da sind. Nochmals Tokarczuk: „Eine Person zu vermissen bedeutet, dass sie da ist.“

 

Ein Lob auf das zarte Herz

Nach den Worten des Sonderpädagogen Dr. Dieter Fischer hängt Zärtlichkeit mit Schönheit zusammen: „Zärtlichkeit lässt sich aus dem Schönen schöpfen, während Gewalt das Schöne zerstört.“ Wenn wir unsere Zärtlichkeit großzügig fließen lassen, können wir sogar in schwierigen Situationen wie dem Tod einen würdigen Raum schaffen. „Zärtlichkeit ist die Sprache jenseits aller Sprachen, die tragende Kraft, der unsagbare Trost, der in seiner lebendigen Macht auf das Leiden antwortet und es transformiert.“ In herausfordernden Zeiten ist es tröstlich zu wissen, dass jemand an uns denkt. Ebenso können wir anderen wünschen, dass sie die unerschöpfliche Zärtlichkeit ihres Herzens entdecken, um ihre eigenen Herausforderungen zu meistern. Wir hoffen für jene, die alles verloren haben, dass sie auf freundliche Menschen treffen und ein Zuhause finden. Das, was uns alle verbindet, ist die gemeinsame Zärtlichkeit des Herzens. Unser Wunsch, allen Lebewesen durch das Verständnis dessen, was ist, zu dienen, hilft uns dabei, uns leichter zu fühlen und uns zu größerer Wärme und Zärtlichkeit zu entwickeln.

 

Nachspüren

Merke, wenn dein innerer Kritiker spricht. Frage dich, ob das, das berechtigt ist? Nimm dir vor, dich nicht selbst zu verurteilen, sondern zu dir zärtlich zu sein. Atme tief durch und fang damit an.

 

Gerald Blomeyer, Berlin am 1. Mai 2024

Der Text wurde angeregt vom Buch des tibetisch-buddhistischen Lehrers Dzigar Kongtrul Rinpoche über „tsewa“, die Zärtlichkeit unseres Herzens.

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