Tragische Geschichten handeln oft von der ewigen Liebe. Das bringt die Zuschauer dazu, an ihre Liebsten zu denken und dankbar zu sein.“ – Silvia Knobloch-Westerwick

Die erlösende Wirkung eines Trauerfilms

Schon die Zuschauer griechischer Tragödien erlebten – nach Aristoteles – eine wohltuende, emotionale Reinigung, wenn sie sich mit den Figuren identifizierten. Die Erfahrung von Trauer ist universell und dennoch schwer in Worte zu fassen. Wir fühlen uns verloren, allein und überwältigt. Trauer im Film zeigt uns manchmal mehr als Worte es vermögen, wir erleben dann unsere Gefühle im Spiegel. Filme helfen uns, die Komplexität von Krankheit und Sterben zu begreifen. Meine Frau Eva Etta starb vor fast 20 Jahren, also war ich überrascht zu erleben, wie sehr mich neulich ein Film über den Verlust eines geliebten Menschen berührte. Er zeigte sowohl den abwesenden Verstorbenen als auch den anwesenden Hauptcharakter, der sich verlassen und schuldig fühlte und unfähig war, in seinem Beruf weiterzuarbeiten. Dies erinnerte mich an viele Facetten meiner Trauer und löste heftiges Weinen aus. Als der Film zu Ende war, konnte ich keine Spur von Trauer oder Verletzung mehr spüren. Offenbar war noch Trauer in meinem Körper versteckt und hatte sich beim Mitfühlen verabschiedet. Das entlastet mich und regt an, weiter vorwärts zu gehen.

Auf dem Weg durchs Leben wachsen wir ständig

Immer wenn Trauer plötzlich zuschlägt und wir überwältigt sind, ist es wichtig, den Verlust und unsere Gefühle zu anzunehmen. Es kann dann zur zweiten Natur werden, diese Wellen der Trauer zu fühlen, zu akzeptieren und loszulassen. Wie bei den Wellen im Ozean, rechnen wir mit der nächsten Welle und bereiten uns darauf vor. Die amerikanische Psychologin Mary-Frances O’Connor betrachtet Trauer als eine Form des Lernens. Sie zeigt uns, wie wir ohne die geliebte Person weiter existieren können. Dies beinhaltet Veränderungen im Gehirn, die es uns ermöglichen, uns anzupassen. O’Connors erforscht in ihrem Buch, The Grieving Brain, wie unser Geist mit dem Verlust umgeht. Wenn die andere Person nicht mehr da ist, müssen wir plötzlich völlig neue Regeln lernen, um zu funktionieren. Wenn Menschen sagen: „Ich fühle, als hätte ich einen Teil von mir verloren“, stimmt das. Das „Wir“ ist ebenso wichtig wie das „Du“ und das „Ich“, und das Gehirn kodiert es entsprechend. Viele verschiedene Teile des Gehirns orchestrieren die Erfahrung, die wir als „komplizierte Trauer“ empfinden. Das sind die Gedanken wie „hätte ich …“, die uns einfach durch den Kopf gehen. Das hilft uns nicht im Hier und Jetzt. 

Transformation von Trauer in Weisheit und Mitgefühl

Intensiver Verlust kann tiefgreifende Veränderungen in unserer Psyche und Persönlichkeit bewirken. Wir alle haben schmerzhafte Verluste erlebt, die mit tiefer Trauer verbunden sind. Menschen sterben, Beziehungen zerbrechen, Chancen werden zunichte gemacht, Träume lösen sich auf, Krankheiten zerstören uns. Doch wir sehnen uns nach Beständigkeit und wollen nicht unerwartet überrascht werden. Weil das Leben wie Wellen des Meeres sich ständig verändert, entsteht Raum für Kreativität, und die Möglichkeit neue Chancen zu erkennen. Unbeständigkeit bedeutet also nicht nur, dass etwas vorbei ist, sondern, dass etwas Neues kommt, ein Potenzial sich öffnet. Der tibetische Abt Mingyur Rinpoche hat beim Tod seines Vaters mit dem Gefühl der Trauer gearbeitet und empfiehlt: „Versuche, es zu akzeptieren, daraus zu lernen, zu wachsen und, dich zu transformieren. Das ist wirklich wichtig.“ Das Altern können wir nicht aufhalten. Wir können aber die Angst vor dem Altern ändern, indem wir bewusst alle starken Gefühle wie Trauer in Liebe, Mitgefühl und Weisheit verwandeln.Am Montag üben wir die Trauer-Mitgefühl-Meditation.
 

Nachspüren

Anstatt dich um das zu sorgen, was außerhalb deiner Kontrolle liegt, konzentriere dich auf das, was du ändern kannst. Akzeptiere die Wellen der Trauer und lass aus den Gefühlen des Verlustes ein Gefühl der Dankbarkeit entstehen. Lerne das Leben neu wertzuschätzen. Wenn du etwas verlierst, verlierst du auch dein altes Ich. Dein „neues Selbst“ ist verletzlich. Kannst Du im Spiegel das alte und das neue Ich sehen? Schaue in die Augen. Was hat sich verändert? 
 
 
Gerald Blomeyer, Berlin am 28, Februar 2024
 
 
 
Banksy Girl With A Balloon

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