Was ist der „Sumpf“ wirklich, wenn sich Münchhausen am eigenen Zopf herausziehen kann? © bpk / Dietmar Katz

 

Trauma ist nicht das, was einem passiert. Trauma ist das, was in dir passiert, als Ergebnis dessen, was dir passiert ist.“ – Dr. Gabor Maté, The Wisdom of Trauma (Trailer)

Anstatt das Gefühl zu haben, dass etwas mit uns nicht stimmt, gibt uns iRest (Yoga Nidra) das Gefühl, dass etwas mit uns stimmt.“ – Gilbert M., Irak-Kriegsveteran

Solange du das Unbewusste nicht bewusst machst, wird es dein Leben lenken und du wirst es Schicksal nennen.“ – C.G. Jung

 

Wir brauchen beides

Der Trauma-Experte Dr. Gabor Maté meint, dass fast jeder Erwachsene als Kind verletzt wurde. Manche dieser Wunden sind so traumatisch, dass wir alles tun, um den damaligen Schmerz nie wieder spüren zu müssen. Wenn unser Verhalten jedoch auf Angst und Vermeidungsstrategien beruht, prägt diese unsichtbare Kraft unser Leben und wir fühlen uns unsicher. Unser sympathisches Nervensystem wird aktiviert. Es reagiert auf Bedrohungen, indem es physiologische Veränderungen im Körper mit der Kampf-Flucht-Erstarren-Reaktion auslöst. Im Gegensatz dazu kann unser parasympathisches Nervensystem uns beruhigen, die Herzfrequenz verlangsamen, den Blutdruck senken, die Verdauung aktivieren, die Muskeln lockern und die Augen entspannen. Das Immunsystem arbeitet wieder, und ein Gefühl von Frieden und Sicherheit wird wiederhergestellt. Beide Reaktionen sind wichtig, sowohl um auf Bedrohungen zu reagieren als auch um uns auszuruhen und zu heilen. Ein gesundes Nervensystem wechselt leicht zwischen diesen beiden Zuständen, verbringt jedoch mehr Zeit im ruhigen Zustand. Wenn uns ein unverarbeitetes Trauma oder chronischer Stress gefangen hält, fühlen wir uns ständig ängstlich, sehen überall Gefahren und können uns schwer entspannen und erholen. Um uns zu schützen, schalten wir möglicherweise unsere Gefühle aus, verharren in einem gefrorenen Zustand und schränken so unser gesamtes emotionales Leben ein.

 

Kann unser tiefster Schmerz ein Tor zur Heilung sein?

Manchmal kann es weise sein, wenn wir uns von uns selbst, von einander oder von der Natur distanzieren. In der Psychologie spricht man von Abwehr- oder Bewältigungsmechanismen bzw. Dissoziation, die wir anwenden, um mit Stress und negativen Emotionen umzugehen. Heute konsumieren wir gemeinsam soziale Medien oder Netflix, wenn es zu schwierig erscheint, den Schmerz unseres Planeten oder unseren eigenen zu fühlen. Antoinette Klatzky, von der Eileen Fisher Foundation, fragt: Können wir ein gemeinsames Bewusstsein für diese kollektiven Strategien schaffen, die wir fortlaufend aufrechterhalten? Wenn wir uns auf die tiefe Traurigkeit einlassen, können wir sie als treibende Kraft für Veränderung spüren, um Neues zu schaffen und alte Verletzungen zu integrieren. Wie bei Münchhausen können wir unsere Trauma als Sumpf sehen, der uns festhält, oder als Chance, die Situation anders zu interpretieren. Präsenz und Abwesenheit überschneiden sich oft. Indem wir sie integrieren, können wir eine Wiedervereinigung von unserem inneren Selbst und der Welt spüren. Indem wir uns der alten Muster bewusst werden, können wir bewusst entscheiden, uns für eine Welt einzusetzen, in der wir in Frieden und Harmonie miteinander sind.

 

Trauma bewältigen ohne Medikamente

Auch der niederländische Psychiater Bessel van der Kolk, der in den USA lebt, meint, dass jeder Mensch traumatisiert sei. Wenn sich Menschen, die wir lieben und denen wir vertrauen, um uns kümmern, können wir das Erlebte integrieren. Wir transformieren die Erinnerungen in Geschichten, die uns helfen, einen Sinn zu finden. Wenn jedoch Menschen, die sich um uns kümmern sollten, uns missbrauchen und wir nicht fühlen dürfen, was wir fühlen, oder nicht wissen dürfen, was wir wissen, können wir das Geschehene nicht integrieren. Die traumatischen Erinnerungen werden stattdessen wieder durchlebt. Die Bilder, Geräusche oder körperlichen Empfindungen ändern sich mit der Zeit nicht, denn sie sind im Körpergedächtnis gespeichert, nicht in Worten. Den Herzschmerz und die Wut im Bauch wollen wir nicht spüren und versuchen, unser emotionales Bewusstsein mit Drogen, Alkohol o.ä. abzuschalten. Laut van der Kolk sind Meditation, Yoga, Kampfsport oder Qigong effektiver als Medikamente, um bei traumatisierten Menschen die Gehirnregionen zu aktivieren, die ihnen die Kontrolle über sich geben. Auch physische Behandlungen wie Akupressur, Massage, Tanzen oder tiefes Bauchatmen helfen, den Stress abzubauen und das Nervensystem auszugleichen.
Am Montag werden wir eine achtsame Trauma-Meditation, angeregt von Bessel van der Kolk, üben sowie eine Yoganidra-Meditation nach Richard Miller, iRest, die auch zur Bewältigung von Posttraumatischen Störungen (PTSD) eingesetzt wird.

 

Nachspüren

Wer hat dich zuletzt wann und wo getriggert? Hat sich der- oder diejenige verhalten, wie jemand aus deiner Kindheit, Jugend oder wie in einer Situation, die dich massiv beschäftigt hat? Wie unterscheidet sich die gegenwärtige Situation von der vergangenen? Welche Entscheidungen kannst du treffen, um dich von der Vergangenheit zu unterscheiden und die gegenwärtige Situation anzugehen?

 

Gerald Blomeyer, Berlin am 1. Februar 2024

 

Zur Vertiefung
Der Film Wisdom of Trauma (Der weise Schmerz der Seele) kann hier gestreamt werden. Es gibt einen Gutschein-Code.

Podcast Thomas Hübl im Gespräch mit Otto Scharmer und Antoinette Klatzky

 

Die U-Theorie

Der deutsche Aktionsforscher Otto Scharmer lehrt und forscht am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seine „U-Theorie“ entstand aus der Frustration über viele nicht gelungene Veränderungsprozesse, die er beobachtete. Er stellte die Frage: Können wir aus unseren inneren Quellen heraus die im Entstehen begriffene Zukunft erfühlen? Dieser Ansatz hilft uns, authentisch mit uns selbst und anderen in Kontakt zu kommen, indem wir vollkommen im Augenblick präsent sind.

Die obere Hälfte des Diagramms wird als „Absencing“ bezeichnet, als Abwesenheit und Rückwärtssicht. Um uns sicher zu fühlen, betrachten wir Probleme und andere mit Distanz. Wir halten am Bestehenden fest, urteilen schnell und zynisch. Wir haben feste Vorstellungen, wie etwas funktionieren sollte. Das verhindert, dass wir aufkommende Potenziale sehen und latente Bedrohungen erkennen können.

Die untere Hälfte wird als „Presencing“ bezeichnet, präsent zu sein und vorauszuschauen. Wir lassen unsere gewohnte Sicht los, um die Gegenwart mit offenem Geist, offenem Herzen und offenem Willen zu sehen. Indem wir unsere periphere Sicht erweitern, können wir über den Horizont hinausschauen. Das Eintauchen ermöglicht es uns, mit dem Problem eins zu werden. Das verbindet uns mit den Möglichkeiten der Situation und mit anderen.


U-Theorie: Presencing and Absencing visual by Kelvy Bird

 

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