Langsames, gedankenvolles Zählen funktioniert ähnlich wie meditative Praktiken, die bei regelmäßiger Anwendung nachweislich die Herzfrequenz senken, indem sie eine langsamere Atmung fördern und das parasympathische Nervensystem aktivieren.“ – Theresa Schnorbach

Ein Mantra ist eine Klangschwingung, durch die wir achtsam unsere Gedanken, Gefühle und höchste Absicht fokussieren.“ – Girish

 

Eine Zahlenreihe anstelle eines Schlafliedes

Max ist jetzt 15 Monate alt. Im Kinderbuch stand eine Zahlenreihe: 1-2-3-4-5… Ich las sie ihm immer wieder vor. Dabei stiegen Erinnerungen an die Musik von Philip Glass auf, schwache Echos an seine Oper Einstein On The Beach: 1-2-3-4-5, 1-2-3-4-5-6, 1-2-3-4… Max folgte dem gleichförmigen Prozess, floss mit ihm, gab die Kontrolle auf und schlief tief ein. Ein beliebtes Schlafmittel ist es, Schäfchen oder Wellen zu zählen. Die Ablenkung vom Alltag bringt uns in den hypnagogen Zustand, ein Übergang von Wachen und Schlafen, der auch meditativen Zuständen eigen ist. Ähnlich ist es bei Glass: Um die Oper zu genießen, muss sich der Betrachter auf ihre Künstlichkeit und repetitive Struktur einlassen. Der Flötist Ransom Wilson hat es so formuliert: „Anfangs habe ich mich gelangweilt – sehr gelangweilt. Die Musik schien keine Richtung zu haben und erweckte fast den Eindruck eines gigantischen Plattenspielers mit einer steckengebliebenen Nadel. … Ich dachte daran, zu gehen. Dann, ohne dass ich mir dessen bewusst war, überschritt ich eine Schwelle und stellte fest, dass die Musik mich berührte und mitriss. Ich begann, in ihr eine ganze Welt wahrzunehmen, in der die Veränderung so langsam und behutsam vonstatten geht, dass jede neue Harmonie oder rhythmische Addition oder Subtraktion monumental erscheint.

 

Mantren rezitieren

Diese Wirkung kann sich, wenn wir ein Mantra rezitieren, einstellen. Ein Mantra ist eine Reihe von Silben, durch deren wiederholtes Aussprechen wir die Kontrolle über die Klangenergie erlangen. Unsere Energie verbindet sich mit der äußeren Energie, und beide beeinflussen sich gegenseitig. Mantras zu wiederholen, hilft unserem Geist, sich zu beruhigen, und schützt ihn vor negativen Einflüssen. Wissenschaftlich gesehen fördert die Mantra-Meditation unsere fokussierte Aufmerksamkeit und verringert übermäßiges Denken. Das kann zu einem Zustand tiefer Entspannung führen und unsere Fähigkeit, mit den Belastungen des Lebens umzugehen, verbessern. Wir können mit einem einfachen Satz wie „Ich lasse los“ beginnen. Wir können auch ein traditionelles Mantra wie „Om Namah Shivaya“ („Ich ehre das Göttliche in mir“) verwenden oder „Om Mani Padme Hum“, das Mantra des buddhistischen Bodhisattva des Mitgefühls, Avalokiteshvara.

 

Mantren mit Mitgefühl verbinden

Das Wort „Mantra“ stammt von den Sanskrit-Wörtern ab: „manas“, was „Geist“ und „tra“, was „schützen“ bedeutet. Zusammen lassen sie sich auch als „Mitgefühl“ übersetzen. Ähnlich wie bei zwei Stimmgabeln, die bei derselben Frequenz mitschwingen, entsteht Resonanz zwischen der Klangschwingung und unseren Gedanken, Gefühlen und Absichten. Unser ursprünglicher, ruhiger Geist ist immer hier, aber unsere Sorgen und Ängste breiten sich über alles aus, sodass unser ursprüngliches Selbst unbeachtet bleibt. Da unsere Absichten unsere Realitäten erschaffen, schließen wir beim Wiederholen den Wunsch ein, dass alle fühlenden Wesen vom Leiden befreit werden. Wir wünschen, dass sie die Wirklichkeit erkennen sowie gesund, glücklich und erfolgreich sind. Da Mitgefühl als verwirklichte Weisheit beschrieben werden kann, ist ein Mantra ein Werkzeug, das unseren Geist schützt, Klarheit und Weisheit kultiviert und Liebe verwirklicht. Wenn wir dieses üben, können wir feststellen, dass wir der freudigen Stille, nach der wir streben, näher sind, als wir denken. Bewusstsein ist näher als unser Atem.
Am Montag werden wir auch
Countdown to Calm auf deutsch üben.

 

 

Nachspüren

Finde ein Mantra, das mit dir resoniert, und versuche, es fünf bis zehn Minuten pro Tag zu üben. Wiederhole das Mantra lautlos bei jedem Ein- und Ausatmen. Versuche nicht, dich zu sehr auf das Mantra zu konzentrieren, erlaube dem Körper und Geist, sich darin zu entspannen. Thich Nhat Hanh schlug vor, „tief“ beim Einatmen und „Frieden“ beim Ausatmen zu sagen. Die Anstrengung besteht darin, mit dem Mantra präsent zu sein, wohin es dich auch führt. Sei eins mit dem Mantra, das auch alle Wesen einschließt.



Gerald Blomeyer, Berlin am Nikolaustag 2023




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