Niemand dienet einem anderen aus freien Stücken; weiß er aber, daß er damit sich selber dient, so tut er es gerne.“ – Johann Wolfgang von Goethe

Dienen heißt, Leben in anderen zu wecken.“ – Anselm Grün, Benediktinerpater

 

Jede Geburt, jeder Tod ist einzigartig

Wer dienen will, steht vor einer endlosen Reihe von Fragen. 2004 erkrankte meine Frau Eva Etta, und es war klar, dass ich ihr bis zum Tod dienen würde. Kontinuierlich bei ihr und dem Leiden zu bleiben, erlaubte mir zu spüren, wie meine Liebe immer bedingungsloser wurde. Ich hatte keine Erfahrung mit dem Sterben und die Frage, ob ich diese Begleitung emotional und finanziell leisten könnte, machte mich unsicher. Ich habe gelernt, dass der Teil in mir, der sich bewusst ist, dass es Angst hat, in Wirklichkeit keine Angst hat. Später habe ich gelesen, dass Sterbebegleiter und Hebammen ihre intensive, intime und sehr lebendige Erfahrung ähnlich beschreiben. In diesen existentiellen Momenten werden unsere Glaubenssätze in Frage gestellt. Die Begleitung eines Sterbenden oder einer Gebärenden erfordert, dass wir uns öffnen, dass wir bereit sind, Risiken einzugehen und das anzunehmen, was geschieht. Ein Begleiter begleitet einfach. Er ist weder ein Führer noch ein Heiler oder jemand, der geheilt wird. Eva Etta und ich haben uns gegenseitig begleitet. Wie amerikanische Zenlehrer Reb Anderson sagt: „Wir gehen einfach händchenhaltend durch Geburt und Tod.“

 

Sich gegenseitig helfen und dienen

Mit dem Tod konfrontiert, habe ich mich selber etwas weniger ernst genommen, wurde großzügiger und liebevoller. Wir entdecken die Ganzheit in uns, den anderen und im Leben. Wenn wir dienen, erleben wir das Leben als Ganzheit und sind dankbar. Das Leiden des anderen wird zu unserm Leiden, ihre Freude zu unserer Freude. In dem Impuls zu dienen, manifestieren wir unsere natürliche Weisheit und Mitgefühl. Wir stellen unser Leben in den Dienst der Ganzheit. Wir erfahren sie, indem wir unsere Fürsorge, unsere Herzen und unseren Verstand für die Erfahrung der Ganzheit öffnen. Indem wir unsere eigene Wunden, unsere Angst, unserem ganzen Selbst begegnen, nutzen wir unser eigenes Leiden als eine Brücke zu der Person, der wir dienen. Oft sind wir versucht vor der Angst wegzulaufen. Doch wir können uns nicht verstecken. Anstatt auf die Angst reagieren, können wir ihr mitfühlend und liebevoll begegnen.


Die Angst vor der Ungewissheit des Lebens, durchdringt alles

Die Angst fordert uns auf, zu prüfen, was wahr ist. Die Wahrheit ist, dass wir unmöglich wissen können, was in der Zukunft passieren wird. Wir malen uns gern Dramen, Probleme, Katastrophen aus. Doch Ängste sind nur Gedanken über die Zukunft, die noch nicht stattgefunden hat. Frank Ostaseski, ein bedeutender Vertreter der Hospizarbeit in den USA, hat die Prinzipien Achtsamkeit und Mitgefühl im Hospizwesen verankert. Er schlägt fünf Leitsätze vor, die uns helfen entspannter durch jede Art von Übergang oder Krise zu kommen: Warte nicht ab. Heiße alles willkommen. Gib dich ganz der Erfahrung hin. Finde mitten im Chaos einen Ort der Ruhe. Kultiviere den Geist des Nicht-Wissens. Er schreibt: „Wenn unser Herz ungeteilt ist, wird alles, was uns begegnet, zu unserer Praxis. Dienen wird dann zum heiligen Austausch, wie das Einatmen und das Ausatmen.“ Indem wir intimer, ruhiger, präsenter werden, kann sich die Energie der Angst zerstreuen, sich im offenen Raum und in Stille auflösen. Wer einmal die Illusion der Angst durchschaut hat, erkennt, dass es nie ein Monster gab, sondern nur die Sorgen und Nöte, die unser Verstand erschaffen hat. Dann können wir der Schönheit des Unbekannten mit Neugierde begegnen. Im Licht des Seins können wir anderen dienen und frei leben, egal was passiert.


Die Weihnachtsmeditation findet am Montag, den 26. Dezember 19 bis 20 Uhr auf Zoom statt.

 

Gerald Blomeyer, Berlin, Weihnachten 2022

 

Photo by Beth Jnr on Unsplash

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