„Volle Aufmerksamkeit ist volle Akzeptanz, ist Hingabe. Indem du deine volle Aufmerksamkeit schenkst, nutzt du die Kraft des Jetzt, die Kraft deiner Gegenwart. Keine versteckte Tasche des Widerstands kann darin überleben. Die Gegenwart beseitigt die Zeit. Ohne Zeit kann kein Leiden, keine Negativität überleben.“ – Eckhart Tolle „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“
Alles, was es gibt, ist die Gegenwart
Zeit ist eine Abstraktion, die es uns erlaubt, aus der Vergangenheit zu lernen. Sie lässt uns Ziele setzen, auf die wir hinarbeiten können. Doch wenn wir den Verstand einschalten, geraten wir leicht in einen Zustand der Angst und des Mangels. Wer sich mit dem Verstand identifiziert, ist in der Zeit gefangen und lebt in Erinnerungen und Erwartungen. Doch ohne Ziele wüssten wir nicht, wer wir sind, denn unsere Vergangenheit prägt uns. Und wer bei seinen Fehlern bleibt, sich selber kritisiert, etwas bereut oder sich schuldig fühlt, macht sie zum Teil des Selbstgefühls. Diese psychologische Zeit ist immer mit einem falschen Identitätsgefühl verbunden. Unser Leben wird dann vom zwanghaften Bedürfnis geprägt, ankommen oder etwas erreichen zu müssen. Diese Sorgen verdecken die Schönheit des Lebens, die im Jetzt präsent ist. Nur im gegenwärtigen Augenblick findet Leben statt. Wir haben eine tiefe Intuition, dass die Zukunft offen ist, bis sie zur Gegenwart wird, und dass die Vergangenheit feststeht. Wir schreiben sie in unserer Sprache, im Denken und Verhalten fest. Wenn wir im Fluss sind, bestimmt die Intuition, wie wir leben.
Die Abschaffung der Zeit
Alles, was die Zeit ausmacht, ist ein Trick der Erinnerung. Wirklich ist nur das Jetzt, eine ewig währende Gegenwart ohne Anfang und ohne Ende. Alles ist in jedem Augenblick völlig neu, eindeutig und ursprünglich. Es gibt nur den Frieden des gegenwärtigen Augenblicks, in dem alles ist – nichts entsteht oder vergeht. Im Bewusstsein nehmen wir, wie beim Film, eine Abfolge von Bildern wahr. Werden in schneller Abfolge Bilder mit Licht auf eine Leinwand projiziert, sehen wir Bewegungen, obwohl nur ein einzelnes Bild, durch ein neues ersetzt wird. Alle Bilder erscheinen als Abfolge auf derselben unbeweglichen Leinwand. Das Einzelbild, das gerade gegenwärtig ist, das einzige, das es gibt. Wenn wir uns mit der Leinwand als Bewusstsein identifizieren, erleben wir nie ein einzelnes Bild, sondern wie die Bilder ins Nichts verschwinden. Die Leinwand bleibt gleich, die Bilder ändern sich. Bilder und Leinwand erscheinen nie getrennt sondern als Einheit. Gedanken und Gefühle erscheinen und vergehen im Bewusstsein, dass alles immer als gegenwärtig erkennt, und weder einen Anfang noch ein Ende hat.
Die Lösung liegt nicht im Denken
Das Jetzt liegt außerhalb der Zeit. Es ist so kostbar, weil es alles ist, was es gibt. In ihm entfaltet sich unser ganzes Leben. Haben wir jemals etwas außerhalb des Jetzt erlebt, getan, gedacht oder gefühlt? Unser Verstand wehrt sich dagegen. In der Meditation lassen wir uns deshalb immer wieder auf diesen Augenblick ein. Der Körper existiert nur jetzt. Wir können ihn nur jetzt fühlen. Wer auf ihn achtet, spürt die Lebendigkeit der Erfahrung, die sich gerade entfaltet. Grübeln und fühlen finden in zwei verschiedenen Zeitdimensionen statt. Wir finden uns nicht selber, indem wir in die Vergangenheit gehen. Denken ist linear und bewegt sich von der Gegenwart weg. Die Körpererfahrung findet hingegen nur im Jetzt statt. Solange sich Geist und Körper voneinander entfernen, fühlen wir uns entfremdet. Wir finden uns selber, indem wir in die Gegenwart kommen, und fühlen, was im Körper geschieht. Dann erleben wir das Sein. Wir erkennen, dass es niemals etwas anderes als das Hier und Jetzt gegeben hat. Am Montag werden wir bei der Meditation eine „Reise ins Jetzt“ machen.
Gerald Blomeyer, Berlin am 3. November 2022
BBC How language warps the way you perceive time and space
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