Der kürzeste Weg zwischen der Wahrheit und einem Menschen ist eine Geschichte.“ – Anthony de Mello

Die großen Meditationsapps Headspace, Calm und Insight Timer bieten heute alle auch Geschichten an, insbesondere Gutenachtgeschichten. Vor einigen Jahren hatte ich meine ersten geführten Meditationen auf der App Insight Timer gepostet. Sie kamen gut an und Insight Timer beauftrage mich, eine Geschichte von Oscar Wilde vorzulesen. Das Ziel war es, über die Innenschau hinauszugehen, Entspannung gefühlvoll und anschaulich zu erleben. Denn, Geschichten werden viel öfter gehört als die Meditationen.

Die Stimme als Reiseführer

Bei einer Geschichte oder einer geführten Meditation ist der Sprecher der Reiseführer, dem wir vertrauen, der uns ermutigt und unterstützt. Sie setzen dem Grübeln ein Ende, machen uns ruhig und wach. Sie regen an Qualitäten zu leben, wie Vergebung, Dankbarkeit, positives Denken, Selbstvertrauen. Das kann entspannend wirken. Körperlich und geistig können wir die mentale Last, die wir im Augenblick empfinden, in den Hintergrund treten lassen. Geschichten lenken unsere Aufmerksamkeit nach außen oder nach innen, was unsere Emotionen beruhigt und uns glücklich macht. Beide wecken ein mitfühlendes Verständnis, führen uns über die Enge unserer Urteile und Befürchtungen hinaus und regen unsere Vorstellungskraft an. Sie helfen uns, die Dinge neu zu sehen und unser Herz für andere zu öffnen.

Geschichten berühren uns

Geschichten berühren unser Herz. Sie helfen die Welt zu verstehen, sie helfen zu erkennen, was richtig und was falsch, wer ein Held und wer ein Bösewicht ist. Der britische Autor Will Storr schreibt in „The Science of Storytelling“: „Gute Geschichten erkunden unser Dasein. Sie sind spannende Reisen in fremde Köpfe. Sie handeln weniger von den Ereignissen, die sich an der Oberfläche des Dramas abspielen, als von den Figuren, die mit ihnen zu kämpfen haben. Diese Figuren sind nie perfekt. Was uns neugierig macht und sie zu einem dramatischen Kampf herausfordert, sind weder ihre Leistungen noch ihr Siegerlächeln, sondern ihre Schwächen.“ Wir erleben, was in deren Herzen und Köpfen vor sich geht, ihre inneren Kämpfe und Herausforderungen, wie sie sich verändern und am Ende eine neue Bedeutung erhalten. Geschichten helfen uns, unsere tiefen Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken oder zu erkennen, was uns im Leben fehlt. Sie zeigen, dass wir ein Teil der Menschheit sind. Wir werden berührt von universellen Wahrheiten, die uns mit Menschen auf der anderen Seite der Welt verbinden. Es ist magisch, dies zu fühlen und zu verstehen. Geschichten berühren uns, verändern unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit und den Blick auf die Welt. Sie unterhalten, bilden und inspirieren uns zugleich und können unsere Glaubenssätze aufbrechen.

Mit Geschichten zu heilen, ist uralt

Mit Worten und Geschichten zu heilen, gab es bevor etwas niedergeschrieben wurde. Indigene Kulturen hatten und haben weltweit ihre mündlichen Traditionen. Die Geschichtenerzähler waren die Träger von Folklore und Moral, die Lehrer und Heiler. Ihre Worte beruhigten, stärkten und motivierten Jung und Alt. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wurde in Amerika das Lesen als Therapie und Schreiben als therapeutische Hilfe eingesetzt. Bücher, Gedichte und Texte wurden gelesen und vorgelesen, um die Zuhörer zu beruhigen, zu trösten, zu ermutigen und zu erfreuen. In den Geschichten entdecken wir unsere Gefühle und Gedanken. Belastungen wurden erkannt, Bedrückendes ausgedrückt, Schmerzliches hinter sich gelassen. Während sich die Bibliotherapie ursprünglich nur auf Bücher bezog, umfasst sie heute nicht nur Literatur, sondern auch Gedichte, Selbsthilfebücher, Filme, Comics, Kunst, Lieder, Tagebuchschreiben, Tanz und Geschichtenerzählen. Eine Studie aus dem Jahr 2011, in der fMRT-Gehirnscans analysiert wurden, legt zudem nahe, dass unser Gehirn beim Lesen über eine Erfahrung dieselben Netzwerke nutzt wie beim eigenen Erleben des Szenarios. Nach dem Scientific American kann dies der Schlüssel zur Heilung und Glück sein.

Konzepte Loslassen, um tief zuzuhören


Meditation ist ein Weg, um herauszufinden, wer wir wirklich sind. Bei geführten Meditationen werden wir angeleitet, unsere Aufmerksamkeit immer wieder neu auf den Körper und positive Gedanken zu richten. So können wir Ängste und belastende Gedanken loslassen. Wir schauen wir in unseren Geist, und erleben die Weite des Bewusstseins und die Enge des Denkens. Indem wir uns neugierig auf eine innere Reise einlassen, entspannen wir uns. Das wirkt beruhigend, kann sogar körperliche Schmerzen lindern. Was wir erleben, hängt von unserer Vorstellungskraft ab. Wir erkennen, wie Festhalten unnötiges Leid erzeugt. Traditionell wird dies verglichen mit einer Kuh, die an einen kleinen Stall gewöhnt ist, und die auf eine große Weide gelassen wird. Indem wir angeregt werden, uns einzulassen, wird uns allmählich der innere Raum genauso vertraut wie der verlockende Sog unserer Gedanken. So wie eine Meditationsanweisung nur durch eine Erklärung angedeutet werden kann, so kann auch das Erzählen durch eine Erklärung allein nicht genau beschrieben werden. Wir hören und erleben sie auf vielen Ebenen. Es ist schön, wie Erzählen und Meditieren, die Zuhörer entspannen und glücklich machen.

Gerald Blomeyer, Berlin im August 2022


Image by S. Hermann & F. Richter from Pixabay

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