Der Fluss muss ruhig sein, um den Vollmond widerzuspiegeln. Nur der klare Geist hat Einsicht in die wahre Natur der Dinge.“ – Thich Nhat Hanh, How to Focus
 
Um die Realität zu erkennen, können wir nicht außerhalb von ihr stehen und sie definieren. Wir müssen in sie eintreten, sie sein und sie fühlen.“ – Alan Watts, The Wisdom of Insecurity
 

Wer genießt, ist aufmerksam

Mein Sohn Fritz meint, Genuss sei der Schlüssel zum glücklichen Leben. Ein gutes Glas Wein oder eine Tasse Tee Schluck für Schluck im Mund zergehen zu lassen, das sei sein Weg, achtsam zu sein. Wer in kleinen Schlucken genießt, kann die Komplexität des Getränks wahrnehmen. Die Geschmacksnoten entfalten sich, wenn wir sie aufmerksam erspüren. Genießen heißt, unseren zerstreuten Geist bewusst auf unsere Sinne auszurichten. Wir erleben, dass wir entweder schmecken oder denken können, niemals beides auf einmal. Indem wir nur schmecken, entfaltet sich ein intensives Geschmackserlebnis. Der vietnamesiche Zenmeister Thich Nhath Hanh meint: „Wenn wir eine Tasse Tee trinken, uns darauf konzentrieren und unsere Aufmerksamkeit darauf richten, freuen wir uns über den Tee.“ Je achtsamer wir eine Tasse Tee in der Hand halten und den Geschmack genießen, umso tiefer lassen wir uns auf den Tee ein. Dann erleben wir auch den Frieden, die Freude und die Freiheit, die beim Teetrinken entstehen. Das ist Glück.

Konzentration mit und ohne Mühe

Um zu erkennen, was geschieht, richten wir unsere Aufmerksamkeit gleichmäßig und kontinuierlich auf das, was uns wichtig ist. Doch wenn wir den Geist beruhigen, indem wir unsere Kreativität oder Gefühle unterdrücken, erfordert das Mühe. Die mühelose Achtsamkeit hingegen will den Inhalt des Geistes nicht beruhigen. Stattdessen treten wir in den ruhigen, wachen und erkennenden Hintergrund zurück, in dem Gedanken und Gefühle erscheinen. Der tibetische Abt Mingyur Rinpoche beschreibt das so: „Unser Geist verweilt ruhig im Erkennen. Wir erkennen die allgegenwärtige wissende Qualität des Geistes, von der wir niemals getrennt sind. … Die Entdeckung unseres Gewahrseins ermöglicht uns den Zugang zur natürlichen Zustand des Geistes, der stetig und klar ist, der sowohl unabhängig von äußeren Bedingungen und Umständen als auch von unseren Gefühlen und Stimmungen existiert.“ Einfach Zeuge zu sein, bedeutet, dass wir uns entspannen und loslassen können. Der Verstand muss nicht arbeiten. Wir erkennen, was er tut, ohne mit ihm zu interagieren. Wir lassen die Gedanken so sein, wie sie sind.

Beobachter des eigenen Lebens

Wenn wir uns auf den Inhalt der Gedanken einlassen, können wir sie nicht objektiv beobachten. Doch wenn wir nur den Tee schmecken oder einfach die Stimme im Kopf hören, sind wir bereit, alles so zu lassen, wie es ist. Wir sind uns bewusst, dass wir bewusst sind. Glückliche und schmerzhafte Gefühle, Freude und Leid sind miteinander verwoben. Eine traditionelle Metapher dafür ist, dass sie der Tiefe eines Ozeans ähneln, der immer ruhig und still bleibt, wenn an seiner Oberfläche die Wellen (des Denkens, der Gefühle) toben. „Unser Ziel ist es,“ sagt die englische Nonne Jetsunma Tenzin Palmo, „in der Natur des Geistes zu verweilen.“ Uns hinzugeben macht uns ruhig und präsent. Im offenen Fokus reicht unser Blick um uns herum, so dass wir uns als Teil des großen Ganzen empfinden. Dann können wir aufhören zu kämpfen und alles kontrollieren zu wollen. „Lass los“ reicht schon, um uns dorthin zu bringen, denn es fühlt sich wie Freiheit an.

Schmecken, nicht schlucken

Kein Tee ist wie der andere. Achtsam zu schmecken, ermutigt uns, alles fließend und sich verändernd zu erleben. Nichts ist statisch. Wenn wir nichts benennen oder bewerten sondern nur schmecken, ändert sich das Teetrinken. Wir erfahren den Tee anders, wenn wir ihn mit den Augen trinken, die Tiefe seiner Farbe wahrnehmen und die Art und Weise, wie die Flüssigkeit sich am Rand der Tasse bewegt. Wir können auch mit den Ohren trinken, indem wir beim Einschenken aufmerksam dem Strom der Flüssigkeit lauschen, der in unsere Tasse rinnt. Wir können mit der Nase trinken und die vielen Aromen tief einatmen, die mit der Luft flirten, wenn wir an der Tasse schnuppern. Wir können mit jeder Zelle unseres Körpers trinken, die samtig-weiche Textur des Tees auf unserer Zunge und die warme Umarmung genießen, wenn er unsere Kehle hinunterläuft. Wir versuchen, nichts zu erreichen, erwarten nichts, suchen nichts. Wir entspannen uns und schauen zu, ohne Absicht, ohne Mühe.Empfohlen: Schokoladenmeditation

Gerald Blomeyer, Berlin am 18. August 2022
Heute wurde Maxi Blomeyer geboren.
Herzlichen Glückwunsch liebe Anna und lieber Fritz!

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