“Wir bewohnen keine Landschaften und Gärten, keine Häuser am sanften Hang oder auf der leichten Dünung, wir bewohnen ein Netz von sichtbaren und nicht sichtbaren Funktionen und Relationen, Strukturen und Aggregaten aus Metallen und künstlichen Gesteinen, die sie Dörfer, Städte, Staaten und Kontinente genannt haben.” – Max Bense „Technische Existenz“ 1949

„Ein gutes Leben besteht aus guten Beziehungen.“ – Robert Waldinger, Harvard Study of Adult Development

Alles steht in Beziehung

Wir haben Beziehungen zu anderen Personen, zu uns selbst und unseren Teilen, ob wir sie mögen oder nicht. Wir haben Beziehung zu allen Dingen, die wir besitzen, benutzen oder über die wir nachdenken. Unsere Außenwelt ist voller Dinge: Tische, Krokodile, Löffel, Autos. Sie existiert unabhängig von unseren Überzeugungen. Wir sagen, dass sie objektiv ist. Es gibt aber auch eine subjektive Innenwelt, die unser Bild der Außenwelt bestimmt. Wir können Dinge nämlich nur in unserem Kopf „sehen“, niemals außerhalb. Unser Verstand erzeugt ein virtuelles Bild der äußeren Wirklichkeit. Was wir durch Nachdenken erschaffen haben, vermischt sich mit unseren Überzeugungen und Wünschen. Wir ergänzen die Welt mit Bedeutung. Diese symbolische, nicht-materielle Dimension beeinflusst die Art, wie wir unser Dasein erleben. Im Buddhismus bezeichnet man diese abstrakte Konstruktion als „konventionelle Wahrheit“. Sie ist notwendig, um Dinge begrifflich von einander abzugrenzen.

Objekte entstehen, indem wir sie benennen

Diese konventionellen Konstrukte entstehen, indem wir alles benennen. Namen und Begriffe verbergen dann die „letztendliche“ oder „absolute Wahrheit“. Sie kann nur direkt erlebt und nicht durch Gedanken vermittelt werden. Sie beruht auf keiner begrifflichen Erkenntnis und ist an keiner Verdinglichung beteiligt. Nichts existiert aus sich heraus sondern alles entsteht in Abhängigkeit voneinander ständig neu. Es gibt weder Grenzen noch unabhängige Dinge, sondern nur den ewigen Wandel. Zen Meister Thich Nhat Hanh prägte den Begriff „Intersein“, um die nicht-dualistische Natur der Dinge, die Verbundenheit von allem zu beschreiben. Er regte an, tief zu schauen, um zu erkennen, dass wir selbst die Erde sind. Mit dieser Erkenntnis können wir mit ihr überleben – oder nicht. Erst wenn wir all unseren Erfahrungen erlauben, so zu sein, wie sie sind, sind wir frei. Dann gibt es weder ein Innen noch ein Außen. Wir identifizieren uns nicht länger mit den Gedanken, sondern sind uns ihrer bewusst. Wir lassen sie wie einen Vogel vorbeifliegen, nehmen ihren Klang wahr, aber denken nicht, dass wir es sind.

Alles bewegt sich

Unsere Gedanken und Empfindungen dürfen alle im weiten, offenen Raum des Bewusstseins kommen und gehen. Es ist als ob wir einen Raum betreten. Wir sehen die Stühle und Tische, aber nicht den Raum selber. Erst wenn wir uns des Raumes bewusst sind, können wir erkennen, was wäre, wenn es keine Probleme zu lösen gäbe. Dann dürften allen Gedanken, Empfindungen und Gefühle in der Weite aufsteigen und verschwinden, wie die Wolken am Himmel. Schließlich wird unsere Aufmerksamkeit transparent und klar, durch nichts gestört, was kommt und geht. Indem wir alles willkommen heißen und nichts wegstoßen, können wir uns auf das „natürliche Gewahrsein“ einlassen. Wir erleben sowohl die Veränderung der Bewegung als auch die Kontinuität der Stille.

Weisheit und Mitgefühl

Die Erfahrung, die wir mit Krankheiten und Schicksalsschlägen machen, erinnern uns daran, dass das Meditieren uns nicht schützt. Sie laden uns ein, mit ihnen zu arbeiten. Wir sind mehr als bloß das kleine, getrennte Selbst, für das wir uns gehalten haben. Als Gewahrsein, reine Offenheit, nehmen wir nichts zu persönlich, sondern leben die Weisheit der liebenden Güte. Wir können uns auf diese Energie verlassen und uns mit ihr identifizieren. Die Weisheit der liebenden Güte kann genährt und entwickelt werden. Doch noch haben wir, wie der tibetische Lama Thubten Yeshe sagte, „eine schwere Decke von Konzepten und Projektionen über uns selbst“ ausgebreitet und dabei „eine Art Lager in uns errichtet, eine Eisenstange, dann noch eine und noch eine und noch eine – so viele konkrete Projektionen.“ Um diese zu durchbrechen, brauchen wir die Einsicht, dass unsere wirkliche Identität in der Vereinigung von großem Mitgefühl und Nichtdualität besteht. Dann können wir die begrenzten, geschlossenen Projektionen dessen, was wir zu sein glauben, durchbrechen und unser Herz vollständig öffnen. Am Montag werden wir die Meditation So-Sein üben.

Gerald Blomeyer, Berlin, 14. Juli 2022

Photo by Cathryn Lavery on Unsplash

Pin It on Pinterest

Share This