Wenn ich jemanden wirklich hören kann, komme ich in Kontakt mit ihm. Das bereichert mein Leben.“ – Carl Rogers, amerikanischer Psychologe

 „Je vertrauensvoller Du auf die Stimme in Deinem Inneren hörst, desto besser wirst Du hören, was um Dich herum vorgeht.“ – Dag Hammarskjold, früherer UN-Generalsekretär

Wer zuhört, empfängt. Gemeinsam mehr hören wir mehr. Offen Zuhören, ohne zu interpretieren, befreit unseren Geist von allen Konzepten. Beim achtsamen Zuhören streben wir kein Ergebnis an, sondern lauschen aus der Stille heraus. Wir hören mit unseren Ohren zu, unserem Geist und Körper. Wenn wir still am Ufer eines Meeres sitzen, hören wir anfangs ein lautes Rauschen. Wenn wir länger still dasitzen und nichts tun außer zuzuhören, beginnen wir, viele feine und subtile Geräusche wahrzunehmen. Wir hören die Wellen, die gegen das Ufer schlagen oder die rauschende Strömung des Flusses. In der Stille des Geistes erfahren wir, was geschieht. Genauso ist es, wenn wir in uns selbst hineinhorchen. Zunächst hören wir nur unser Ego, das ständig plappert. Aber allmählich offenbart sich diese stille, sehr subtile „Stimme“ als Stille oder Vielzahl sich verändernder Elemente, Gedanken, Gefühle, Emotionen und Bilder. Wir nehmen sie alle durch achtsames Zuhören wahr. 

Tiefes Zuhören bedeutet präsent zu sein
Im Zen fragt man, „Wie hören sich die Töne der Bäume an, wenn kein Wind weht?“ Diese Frage gilt als eine Einladung jenseits des Denkens in die Stille des Bewusstseins. Es ist wie tiefes Zuhören. Unser Geist ist wach, neugierig, achtsam und wunschlos. Es gibt nichts zu erreichen oder festzuhalten. Alles ist willkommen, nichts muss unterschieden oder beurteilt werden. Durch diese Akzeptanz, mit der wir alles willkommen heißen, entsteht Harmonie im ausgeglichenen Geist. Das tiefe Zuhören ist achtsam, präsent und offenbart viele Aspekte dessen, was wir sind. Alles, was im klaren Bewusstsein erscheint, darf so sein, ohne dass wir versuchen, das Gesagte zu kontrollieren oder zu beurteilen. Doch meist denken wir oder sind so mit dem beschäftigt, was wir sagen wollen, dass wir nur unsere Ansichten hören. Es fällt uns schwer, unsere innere Stimme zu hören.

Ohne uns selbst zuzuhören, gibt es keine Kommunikation
Das Zuhören ist eine aktive Erfahrung, die das respektiert, was gesagt wird. Das erlaubt uns, andere besser zu verstehen. „Gute Kommunikation beginnt“, wie der vietnamesiche Zenmeister Thich Nhat Hanh sagte, „wenn wir uns selbst mit Mitgefühl und Freundlichkeit zuhören.“ Erst dann sind wir in der Lage, anderen zuzuhören ohne zu urteilen. Tiefes Zuhören geschieht mit einem ruhigen und weiten Geist und unser Ego nimmt sich zurück. Der direkte Fokus ist auf das Objekt der Aufmerksamkeit beschränkt. Ein offener Fokus ist hingegen diffus. Er dehnt sich ständig aus, um das gesamte Raum-Zeit-Kontinuum des Klangs zu erfassen. Wer tief zuhört, nutzt das Gleichgewicht beider Formen der Aufmerksamkeit. Meditieren ist eher vergleichbar mit Zuhören, als sich mit Konzentration zu fokussieren. Nur ohne Mühe kommen wir in diesen natürlichen Zustand. Sobald wir uns anstrengen, schließt sich das Herz. Aber nur im natürlichen und mühelosen Zustand haben wir Zugang zur Freiheit. Ein ruhiger Geist, der durch Konzentration erreicht wird, endet in einem dumpfen, nicht in einem freien Geist. Wer nach Stille sucht, kann sie nie finden. Sobald wir etwas von der Stille wollen, sind wir wieder außerhalb der Stille. Erst wenn alles so sein darf, wie es ist, ist es still und empfänglich, frei von jedem Ziel oder Erwartung.

Sanft ins Zuhören entspannen
Wenn wir zu meditieren beginnen, stellen wir fest, dass wir unsere Gedanken, Körperempfindungen, Emotionen, Erinnerungen, Klänge usw. wahrnehmen. Unser Geist interpretiert sie oder zieht Schlüsse, die auf vergangenen Konditionierungen beruhen. In der Meditation dürfen alle Gedanken, Gefühle, Emotionen und Erinnerungen einfach so sein, wie sie sind, ohne sie ändern oder unterdrücken zu wollen. Dann können wir im ursprünglichen Gewahrsein selbst ruhen, der Quelle, in der alle Dinge entstehen und vergehen. Wer sich sanft in das Zuhören, entspannt, löst die zwanghafte Kontrolle und Identifikation mit dem Verstand. Je tiefer wir in der Stille ruhen, desto freier werden wir. Wir sind das Gewahrsein selbst, die Quelle, in der alle Objekte entstehen und vergehen. Je tiefer wir uns auf die Stille einlassen, desto freier werden wir. Wir geben uns der Stille hin, dem Lehrer, der nicht zu uns spricht, aber immer da ist. 

Am Montag werden wir eine neue Meditation zum Zuhören üben.

Gerald Blomeyer, Berlin, 18. Mai 2022

Foto: Skulptur „Le Guetteur“ Jean De Roncourt, Bronze, 1920, https://www.1stdibs.com

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