„All the lonely people … where do they all come from?“ – The Beatles, ‘Eleanor Rigby’

„Der Frieden kommt von innen. Sucht ihn nicht draußen.“ – Buddha

Einsamkeit wird vom Deutschen Bundestag definiert „als eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen.“ Einsame haben ein erhöhtes Risiko für psychische oder physische Erkrankungen. Nach Ansicht von Experten ist sie ebenso gefährlich für die Gesundheit wie Fettleibigkeit oder Rauchen. Und: Sie nimmt zu. Vor einem Jahr verkündeten die Ministerin für Einsamkeit im Vereinigten Königreich und der Minister für Einsamkeit und Isolation in Japan, dass die Bekämpfung der Einsamkeit eine wichtige internationale Aufgabe sei. In Deutschland gilt jeder zehnte als chronisch einsam. Im Februar 2022 startete deshalb die damalige Familienministerin Anne Spiegel ein „Kompetenznetz Einsamkeit“, das praktische Hilfen geben und die Forschung vorantreiben soll.

Mit dem Leiden intim sein
Einsamkeit ist ein emotionaler, kein physischer Zustand. Sie lässt sich nicht durch viele Freunde auflösen oder dadurch, dass man nie allein ist. Wer sich einsam fühlt, hat das Gefühl, sich nicht zugehörig zu fühlen, fühlt sich verletzt. Wenn die Menschen, mit denen wir in Kontakt sind, uns nicht verstehen oder akzeptieren, fühlen wir uns allein. Einsamkeit kann auf eine frustrierende Art isolierend wirken, weil wir glauben, dass sich niemand um uns kümmert, oder, dass wir keine menschlichen Kontakte und Beziehungen haben. Als eine Ursache für Einsamkeit bei jungen Menschen gelten die sozialen Medien. Andererseits werden Apps und Mobiltechnologie genutzt, um einsame Menschen miteinander zu verbinden. Wenn wir uns einsam fühlen, machen wir diese Gefühle aktiv zu Fesseln. Deshalb ist es wichtig, möglichst frühzeitig den Augenblick der Begegnung mit dieser Fessel in einen mitfühlenden Akt umzuwandeln. Wer achtsam, ausdauernd und geduldig ist, kann dem Thema Raum geben und dadurch mehr sehen. Das erfordert, dass wir mit dem Leiden intim sind. Wir erkennen, wie wir leiden, wie das Leiden entsteht, und wie wir den Glauben nähren, der uns einsam macht. Leiden ist überall. Nur wenn wir es annehmen, können wir es in uns transformieren.

Die Einsamkeit umarmen
Manche Menschen fühlen sich einsam oder isoliert, wenn sie bei einem Event von Menschen umgeben sind, andere fühlen sich einsam und ängstlich, wenn sie nicht unter Menschen sind. Wir fühlen uns allein, wenn ein großer Schmerz oder eine intensive Angst uns überwältigt. Öffnen wir uns hingegen der Angst, können wir sie beobachteten und fühlen. Damit geben wir der Herausforderung den Raum, um ihn zu transformieren und zu heilen. Indem wir Mitgefühl und Verständnis aufsteigen lassen, im vollen Gewahrsein des Augenblicks sind, können wir gelassen, still und frei werden. Wir lehnen uns in die Einsamkeit hinein, um das Leiden zu lindern und es zu verstehen. Das macht uns geduldig, und wir können Ärger und Leiden loslassen. Wir können uns erlauben, verletzlich zu sein, ohne wütend zu werden und unsere Bedürftigkeit fühlen, ohne uns an andere zu klammern. Es hilft, das Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten: Wer die Unbeständigkeit annimmt, sieht wie alles miteinander verbunden ist.

Einsamkeit achtsam begegnen
Manchmal glauben wir, der Einsamkeit nicht entkommen zu können. Manche Lehrer empfehlen dann, alles in Zeitlupe zu tun, damit wir alle Vorgänge im Körper und Geist bewusst beobachten können. Während dieser Praxis können wir beobachten, wie Einsamkeit aussieht und sich anfühlt. Die Einsamkeit scheint dann außerhalb von uns selbst zu liegen, ist aber dennoch ein Teil von uns. Oder wir können uns mit dem Ort in uns verbinden, der sich wie zuhause anfühlt. Dann können wir uns daran erinnern, dass wir bereits da sind. Ein weiterer Weg ist es, die Einsamkeit als das annehmen, was sie ist. Sie hilft uns, uns in andere einzufühlen und sowohl sie als auch uns zu verstehen. Wir sind motiviert, uns mit ihnen zu verbinden. Das gibt unserem Leben einen Sinn. Um zu erfahren, dass wir nie allein sind, werden wir am Ostermontag unser einsames Herz öffnen, das frei von der Angst vor Isolation ist und uns ermutigt auf andere zuzugehen.


Gerald Blomeyer, Berlin, Ostern 2022

Thema des Richard-von-Weizsäcker-Journalistenpreises 2022:
Wege aus der Einsamkeit – eine Herausforderung für die Gesellschaft?
Die Einsamkeit nimmt zu. Vor allem alte Menschen am Lebensende fühlen sich einsam. Mit Krankheit, der Einschränkung der Mobilität, dem Verlust geliebter Personen und des sozialen Umfelds aber auch den Folgen der Single-Gesellschaft wächst im Alter das Risiko sozialer Isolation. Die Pandemie hat dieses Problem stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Reaktionen darauf sind vielschichtig – von Einsamkeitsbeauftragten über Besuchsdienste bis hin zu digitalen Hilfsmitteln wie Tablets oder Smartphones für den Kontakt mit den Lieben in der Ferne. Reichen diese Ansätze aus? Wie sterben alte Menschen in diesen Zeiten? Was brauchen sie am Ende ihres Lebens? Haben wir als Gesellschaft etwas dazu gelernt? Wo besteht Handlungsbedarf? Wo gibt es nachahmenswerte Beispiele?

Photo by Samuel Austin on Unsplash

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