„Es ist als ob alles, was existiert, nur existiert, damit es verloren gehen und wertvoll werden kann.“ – Lisel Müller, (1924-2020) deutschamerikanische Dichterin
„The shadow of your smile / When you have gone / Will color all my dreams / And light the dawn“ – Frank Sinatra
Als Student habe ich mit Begeisterung „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ von Douglas Adams gelesen. Danach gibt es irgendwo im Kosmos einen Planeten, zu dem sich alle unbeaufsichtigten Kugelschreiber auf den Weg machen. In dieser Kugelschreiberwelt können sie dann endlich ein artgerechtes Leben führen. Es ist tröstlich, an einen solchen Planeten der verlorenen Dinge zu glauben. Vielleicht haben die Menschen, die wir verlieren, aber auch die Gletscher, Tiere und Ökosysteme, die wie im Zeitraffer verschwinden, auch eine solche Zuflucht. Ständig verwandelt sich alles, was wir erleben, in einen Augenblick, in eine flüchtige Erinnerung. Doch der Planet, wo es allem, was wir lieben, gut geht, bleibt uns verschlossen – es gibt dieses Paradies nicht. Das Leben fühlt sich zerbrechlich an, so melancholisch wie Eric Claptons Lied über den Tod seines kleinen Sohnes „Tears In Heaven“.
Liebe und Verlust sind „Kräfte, die nicht kontrolliert oder vorhergesagt werden können“, schreibt die amerikanische Schriftstellerin Elizabeth Gilbert. Sie kommen und gehen, wann sie wollen, richten sich nicht nach unseren Plänen oder Wünschen. Erst lieben wir, dann verlieren wir den anderen durch den Tod oder wir entlieben uns. Früher oder später „vergeht“ alles, „läuft die Zeit aus“, als ob die Menschen, Beziehungen und Dinge in eine andere Dimension gewechselt seien. Gilbert: „Wir sind nicht in der Lage, die Dinge, die wir lieben, vor der Zeit, dem Wandel und dem Zufall zu schützen.“ Tiefe Verluste werden von Trauer begleitet, die uns entmachtet und klein macht. Nur wer sie demütig annimmt, kann sich von ihr bewegen lassen. „Trauer hat ihren eigenen Zeitrahmen, sie hat ihre eigene Reiseroute mit dir, sie hat ihre eigene Macht über dich, und sie kommt, wenn sie kommt.“
Tod ist der große Gleichmacher, denn nichts ist beständig. Egal, was verloren geht, – der Gegenstand, den wir brauchen, oder die Person, die wir lieben, – die Lektionen sind immer gleich. Seit unserer Geburt weitet sich der Kreis immer weiter aus, um nach und nach immer mehr Lebensbereiche zu erobern. Auch kleine Dinge können uns zu Tränen rühren, wenn wir sie verlieren. Trauer kennt keine Grenzen und sie muss immer wieder neu gefühlt werden. Die bulgarische, in den USA lebende, Autorin Maria Popova schreibt: „Das Wesen des Verlustes umfasst unterschiedslos das Triviale, das Abstrakte und das Konkrete, das bloß Verlegte und das endgültig Verlorene.“ Popova: „Die Trauer wird zu einer Art Klebstoff, mit dem wir versuchen, die zerbrochenen Teile unserer vertrauten Welt zusammenzuhalten.“
Das Verschwinden ist nicht überraschend, sondern die grundlegende, unabänderliche Natur der Dinge. Unser Leben ist kurz und unser Körper zerfällt ständig. Das ist natürlich, denn alles ändert sich und verschwindet. Es mahnt uns, die Vergänglichkeit zu schätzen und die Zerbrechlichkeit zu akzeptieren. Wir erlauben unserem Geist, seine Anhaftungen loszulassen. Der Verlust ist wie ein äußeres Gewissen, das uns dazu anhält, unsere endlichen Tage besser zu nutzen. Wir sollten deshalb schätzen, was wir für wertvoll halten, und uns mitfühlend um das kümmern, das unserer Fürsorge bedarf. Dann können wir erkennen, dass wir untrennbar mit allem verbunden sind, mit dem, was noch kommt, und mit dem, was war. Wir sind hier, um jetzt zu bewusst zu erkennen und mit einem offenen Herzen zu lieben, nicht um festzuhalten. Am Montag werden wir die Trauer-Mitgefühl-Meditation üben.
Gerald Blomeyer, Berlin, Mitte März 2022
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