„Die Kirche sagt: Der Körper ist sündig.
Die Wissenschaft sagt: Der Körper ist eine Maschine.
Die Werbung sagt: Der Körper ist ein Geschäft.
Der Körper sagt: ich bin ein Fest.“
– Eduardo Galeano, Schriftsteller (1940-2015)
In der Meditation können wir uns im Körper zuhause fühlen. Er ist das Fundament, auf dem unser Verständnis vom Jetzt ruht. Im Körper zu bleiben, beruhigt und erlaubt uns, mit unserer Erfahrung eins zu sein. „Der Körper, wie er tatsächlich ist, ist für uns rätselhaft,“ sagt der US-Zenmeister Norman Fischer. „Ich kann meinem Körper sagen, dass er gehen, sitzen, stehen oder springen soll, und er wird es tun. Aber ich kann meinem Körper nicht befehlen, nicht zu altern oder nicht zu bluten, wenn ich mir in den Finger schneide. … Der Körper ist ein Vehikel für den Fluss des Lebens; er wird vom Leben beherrscht, vom Leben bestimmt, viel mehr als er von mir beherrscht und bestimmt wird.“
Der Körper ist ein Prozess
Im Spiegel sehen wir ein vertrautes Bild, das wir „Ich“ nennen. Wir sehen kein Kind sondern einen Erwachsenen. Die Wissenschaft sagt, dass in unserem erwachsenen Körper keine einzige Zelle unserer Kindheit mehr existiert. Sie sind alle abgestorben und nachgewachsen. Der menschliche Körper ist also kein statisches Ding sondern ein Prozess, der ständig in Bewegung ist. Wir essen, der Körper verdaut und scheidet aus. Das Herz pumpt das Blut durch tausende Kilometer von Adern und Kapillaren und versorgt Muskeln und Organe mit Nährstoffen. Wenn die Sinnesorgane stimuliert werden, entsteht eine Welt, in der chemische und elektrische Reaktionen in Gehirn und Nervensystem zu Gedanken, Gefühlen, Absichten und Erfahrungen führen.
Der „heutige Körper“
Doch indem wir „mein Körper“ denken, machen wir ihn zu einem scheinbar dauerhaften Objekt. Wenn wir den Körper mit „ich, mir, mein“ identifizieren, fällt es uns schwer zu entspannen. Wenn wir ihn nicht mögen oder gar ablehnen, fühlen wir uns als Versager, denn wir können nicht ändern, was uns nicht gefällt. Doch wenn wir ihn als Prozess betrachten, als „heutigen Körper“, erlaubt er uns, einen Schritt zurückzutreten und zärtlicher und mitfühlender mit ihm umzugehen. Wir können tolerieren, dass er so ist, wie er ist: eine Momentaufnahme.
Wir alle stecken in dem Körper, den wir in diesem Augenblick erleben. Der Körper von gestern ist nur eine Erinnerung. Wie wir uns jetzt fühlen, ist anders, als das Gefühl, das wir vor zehn Minuten oder gestern hatten. Und was wir morgen fühlen werden, ist noch einmal anders. Schneller als unser Körper ändert sich der Fluss unserer Empfindungen und Stimmungen. Nichts bleibt gleich. Wenn wir achtsam meditieren, sehen wir, dass alle Menschen sich wandeln und nur den „heutigen Körper“ haben. Diese Einsicht verbindet uns mit ihnen.
Achtsames berühren
In der Meditation schweift der Geist immer wieder ab, aber wir kehren gelassen zurück zum Körper im gegenwärtigen Augenblick. Er funktioniert wie ein Anker für unsere Aufmerksamkeit. Die Ereignisse im Leben kommen und gehen, sie erneuern unser Leben von einem Augenblick zum nächsten. Alles kehrt wieder und ist doch immer wieder neu. Unser Atem, unsere Arbeit, Beziehungen, Träume, Krankheit, Wohlbefinden, – unser ganzes Leben entsteht immer wieder neu. In der Meditation ist der Körper der Ruhepunkt, das Fundament, er gibt uns Kraft und Inspiration. Am Montag werden wir Achtsamkeit üben, indem wir unseren Körper berühren. Kleine, liebevolle Berührungen von Händen, Armen, Kopf und Bauch helfen uns, physisch und emotional in Kontakt zu kommen und uns geborgen zu fühlen.
Gerald Blomeyer, Berlin, Valentinstag 2022
Foto (c) Kimberly L Bryant