Die Gefühle, die wir gerne loswerden würden, die wir nicht haben wollen, die wir am liebsten einfach hinter uns lassen würden? Diese Gefühle sind keine Hindernisse auf dem Weg – sie sind der Weg. — Jody Hojin Kimmel

Wer dem kurzfristigen Glück nachjagt und bei Schwierigkeiten verzweifelt, schwankt zwischen Hoffen und enttäuscht sein. Um sich sicher zu fühlen, sind manche Menschen dann sogar bereit, anderen weh zu tun, sie zu bestehlen, zu belügen oder gar zu töten. Akzeptieren wir hingegen, dass die Dinge so sind, wie sie sind, werden uns weder angenehme noch unangenehme Umstände verwirren.

Zu erkennen, dass alles vorüber geht, stärkt unseren Geist. Indem wir uns als Teil eines größeren Ganzen akzeptieren, können wir aufhören, selbstsüchtig zu handeln.

Mara, der Verführer

Im Buddhismus symbolisiert Mara die leidvolle Welt der Sinne. Mara wollte Buddha überreden, ein Politiker oder König zu werden und viel Geld und schöne Frauen zu haben. Mara verführt, indem er Vergängliches als dauerhaft und genussvoll anpreist. Das enttäuscht und schafft unser Leiden. Der kürzlich verstorbene vietnamesische Zenmeister Thich Nath Hanh (Thay) erzählte gern die Geschichte, wie Mara einmal Buddha besuchte. Der umarmte ihn und lud ihn ein, sich auf den besten Platz zu setzen. Thay: „Ihr könnt Buddha mit den Blumen vergleichen, sehr frisch, sehr schön. Und ihr könnt Mara mit Abfall vergleichen. Er riecht nicht gut. Es gibt eine Menge Fliegen, die gerne auf Abfall wohnen. Es ist nicht angenehm, den Abfall anzufassen, in der Hand zu halten, denn er stinkt. Doch alle Blumen werden zu Abfall. Das ist die Bedeutung der Unbeständigkeit: alle Blumen müssen zu Abfall werden.“

Gärtner sammeln Abfälle und machen ihn zu Kompost. Damit reichern sie die Erde an, in der sie dann Salat, Tomaten und Blumen anbauen. Der Abfall wird zur Blume, und die Blume zu Abfall. Wer es versteht, Mara zu transformieren, kann zum Buddha werden. Blumen und Abfall, Buddha und Mara brauchen sich gegenseitig. Indem Buddha die Schwierigkeiten und Versuchungen willkommen hieß, konnte er sein Leiden und seine Unwissenheit überwinden. Wer Blumen will, muss Kompost haben. Thay: „Menschen, die jetzt viel leiden, sollten nicht entmutigt sein. Das Leiden ist ihr Müll. Wenn sie wissen, wie sie sich um ihren Müll kümmern, können sie die Blume des Friedens und der Freude hervorbringen.“

Meditation über das Kritisieren

Mara steht auch für unseren inneren Kritiker, für den Perfektionisten, Kontrolleur, Besserwisser, Zweifler oder Tyrannen, der unsere Fehler und Unzulänglichkeiten aufbläht und unser Selbstwertgefühl und Wohlbefinden untergräbt. Mara begleitete Buddha als Selbstzweifel ein Leben lang. Wenn wir die Tricks unseres inneren Kritikers bewusst anschauen, verschwinden sie. Auch in der Meditation begegnen wir häufig einem Kontrolleur in uns, der sagt, dass wir nicht achtsam oder nicht mitfühlend genug seien. Diese Stimme untergräbt unsere Leichtigkeit. Statt zu entspannen, denken wir: „Wäre es nicht besser, jetzt aufzuräumen? Was ist mit den Rechnungen? Schau deinen Körper an. Du bist übergewichtig und unflexibel.“

Jede Diskussion mit dem Kritiker gibt ihm Macht und Autorität

Wer sich mit dem inneren Kritiker streitet, hat verloren, denn der ist keine Person, sondern eine Bande von trüben Gedanken. Wenn der Verstand über uns herzieht, müssen wir ihm nicht glauben. Wenn wir Angst haben, falsch zu entscheiden, schränken wir unser Handeln ein und fühlen uns gelähmt. Der Besserwisser in uns wird uns ständig an unsere Fehler erinnern. Wenn das unser bester Freund täte, würden wir ihm sagen: „F… you, ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden!“ Aber beim inneren Tyrannen tun wir das nicht. Solange wir an einem „wirklichen Ich“ festhalten, glauben wir, unser Körper und Geist existierten objektiv und unabhängig von allem anderen. Wir hoffen, nur dem Freudvollen zu begegnen und allem Schmerzlichen aus dem Weg zu gehen. Doch wir sind ein immerwährender Prozess, mit allem verbunden, und erleben immer beides: Freud und Leid. Der US-amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg, der das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation entwickelte, fasst das Dilemma zusammen: „Du kannst Recht haben oder glücklich sein. Beides gleichzeitig geht nicht.“ Wer Frieden statt Gewalt will, soll erkennen, was ist. Wir sollen alle Gefühle im Körper wahrnehmen, sie benennen, und sie weder unterdrücken noch wegschieben. Erst dann erkennen wir, dass wir selbst unser größter Feind waren.

Den geheimen Feind aufspüren

Um das zu erreichen, übernehmen wir die volle Verantwortung für alles, was passiert, auch für Schlechtes. Denn wir ernten, was wir säen. Wenn wir unsere falsche Gewissheit aufgeben und genau hinschauen, können wir erkennen, dass eine altruistische Einstellung den gewohnten Strom egoistischer Gedanken verdrängt. Am Montag, werden wir die Meditation üben, den Inneren Kritiker einfach sein zu lassen.

Gerald Blomeyer, Berlin, Anfang Februar 2022

Pin It on Pinterest

Share This