Angst kann dein Freund oder Feind sein. Weil sie nichts Festes ist, geht es um unsere Beziehung zu ihr. Es geht um die Art, wie wir mit ihr umgehen, ob wir mit ihr tanzen oder kämpfen. Sie spielt sich im Kopf ab: Angst zu meistern bedeutet, das Gespräch im Kopf zu erkennen und zu verändern. Furchtlos zu sein, bedeutet nicht die Abwesenheit von Angst, sondern der freundschaftliche Umgang mit ihr.

Wir fürchten oft Dinge, die wir tun müssen, um unseren nächsten Schritt zu machen.

Mut bedeutet, der Furcht vor dem Versagen zu begegnen. Wir wollen uns wohlfühlen, also vermeiden wir es, das zu tun oder zu sagen, was Angst und andere schwierige Emotionen hervorruft. Wir mögen uns im Augenblick weniger verletzlich fühlen, aber unsere Angst bleibt.

Wir haben Angst,
… von anderen abgelehnt zu werden, weil wir uns für unzulänglich halten.
… etwas zu sagen, weil wir glauben, nicht originell genug zu sein.
… zu scheitern und hören auf, das zu tun, was wir lieben.
… zu uns zu stehen, indem wir die Leere mit Aufgaben und Gedanken füllen.
… glücklich zu sein: Je mehr wir etwas wollen, desto weniger können wir darauf einlassen und es genießen.

Sei neugierig und mutig:
„Ich weiß es nicht, aber ich würde es gerne herausfinden!“ bedeutet, dass man nicht mehr „Recht haben“ oder „es richtig machen“ will. Wer Recht hat, kann nicht mutig sein. Vertrauen ist das Herzstück vom mutigen Handeln.

„Du wirst niemals etwas auf dieser Welt ohne Mut tun. Er ist neben der Ehre die höchste Qualität des Geistes.“ – Aristoteles

Angst ist ein Gefühl, das signalisiert, dass etwas Bedrohliches geschieht. Das äußert sich als Besorgnis und Unlust. Je mehr wir versuchen, uns dieser Warnung nicht mit Bewusstheit zu stellen, desto ängstlicher werden wir. Oder wir übersehen die wirkliche Gefahr.

Mutig zu handeln, erfordert großzügiges Denken und hilfsbereit zu sein, auch wenn etwas nicht funktioniert.

Dürfen Märchen Angst machen?

Der britische Autor Neil Gaiman meint:
„Geschichten müssen Angst machen, damit sie funktionieren, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Am Ende sollen sie triumphieren. Es macht keinen Sinn, über das Böse zu triumphieren, wenn das Böse nicht beängstigend ist.“
„In kleinen Portionen ist Angst etwas Wunderbares. Man fährt mit der Geisterbahn in die Dunkelheit im Wissen, dass sich irgendwann die Türen öffnen und man wieder ins Tageslicht treten wird. Es ist immer beruhigend zu wissen, dass man immer noch hier ist, immer noch sicher. … Es ist gut, wieder ein Kind zu sein, für eine kleine Weile, und sich zu fürchten — kein Staat, keine Vorschriften, Untreue oder Buchhalter oder ferne Kriege, sondern Geister und solche Dinge, die nicht existieren, und selbst wenn sie existieren, können sie uns nichts anhaben.”
„Wenn man vor dunklen Dingen zu sehr bewahrt wird, dann hat man keinen Schutz vor, keine Kenntnis von oder kein Verständnis für dunkle Dinge, wenn sie auftauchen.“

Mut bedeutet nach Gaimans Ansicht nicht nur, sich der Angst zu widersetzen, zu überleben oder zu versuchen, sie auszulöschen. Sie besteht darin, in dunkle und beängstigende Wohnungen zu gehen, sich mit hässlichen Monstern zu streiten und sich gegen mächtige Feinde zu verschwören, auch oder gerade wenn wir uns ängstigen. Mutig zu sein bedeutet, zu akzeptieren, dass Ängste zum Leben gehören. Dann können wir sie überwinden.

Angst als den Wegbereiter des Mutes

Die buddhistische Nonne Pema Chödrön meint dazu: „Furcht entsteht, wenn wir uns der Wahrheit nähern.“ Das Schlimmste, das wir uns selbst antun können, wäre, nicht den Mut und den Respekt zu haben, uns selber ehrlich und sanft zu begegnen.

Furchtlos zu sein, bedeutet, der Angst zu begegnen, anstatt vor ihr wegzulaufen. Wer sie vermeiden will, erschafft Dinge, die zerstörerisch wirken. Wer die Angst hingegen liebevoll will-kommen heißt, kann wahre Furchtlosigkeit entdecken. Indem wir das Wesen der Angst akzeptieren, lernen wir den Kern der Furchtlosigkeit kennen. Menschen, die ihr Zuhause oder ihren Arbeitsplatz verloren haben, fühlen sich unsicher. Wenn Angst aufsteigt, werden sie wütend, machen sich und anderen Vorwürfe.

Wie können wir lernen zu vertrauen, sanft, mutig und tapfer sein?

Es darum, präsent zu sein, sowohl bei den angenehmen Aspekten des Lebens, als auch bei den unangenehmen. Wir wenden uns der Angst zu, springen in sie hinein, und lächeln sie an. Die Angst selbst wird so zu einer Art Wegbereiter des Mutes. Wer mit der Angst von ganzem Herzen arbeitet, macht sie zur Grundlage der Vernunft.

Der Buddha lehrte, dass Flexibilität und Offenheit Stärke gewinnen lassen, und dass das Weglaufen vor dem bodenlosen Abgrund uns schwächt und Schmerz bringt. Aber verstehen wir, dass das Vertraut-werden mit dem Weglauf-Instinkt der Schlüssel dazu ist? Offenheit entsteht nicht dadurch, dass wir unseren Ängsten widerstehen, sondern dadurch, dass wir sie gut kennen lernen.

Anstatt auf die Widerstände einzuschlagen, heißen wir sie willkommen. Wir begegnen ihnen sanft und ehrlich. Wir berühren sie, riechen sie und lernen sie gut kennen. Wir erkennen unsere Abneigungen und Sehnsüchte. Wir erkennen die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, merken, was uns anzieht und abstößt. Ohne zu bewerten, sind wir sind neugierig auf das, was hinter der Angst steht. Das fällt leichter, wenn wir Humor mit einfließen lassen. Jahr für Jahr üben wir uns darin, offen und empfänglich für alles zu bleiben, was sich ergibt. Langsam, ganz langsam kann das Herz weich werden. Wir können Furcht und Angst zusammen mit Mitgefühl im großen Herz der Liebe halten. Das ist, wer du wirklich bist.



Veröffentlicht in TIBET UND BUDDHISMUS NOVEMBER 2021

Foto (c) Heidi Scherm 2020
https://www.heidischerm.de/

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