„Liebe ist wie Erleuchtung. Sie lehrt uns, eine Stufe tiefer zu leben, Anweisungen zu befolgen, die aus unserem Inneren kommen.“ – John Tarrant, Zenmeister
„Was einer sucht, das hat er nicht: nun sucht die Liebe das Schöne und Gute; also hat sie solche nicht.“ – Platon
 
Früher dachte ich, das Leben erwarte von mir, perfekt zu sein. Um die Welt zu verbessern, müsste ich mein ideales Selbst sein. Der Buddhismus sieht das anders. Alles, was wir haben, ist der gegenwärtige Moment. Das Gute kann geschehen, wenn wir aufhören, perfekt sein zu wollen. Der Weg fängt damit an, dass wir die Person loslassen, für die wir uns halten. Dann können wir den unvermeidlichen Ärger im Alltag und unser leidendes Herz annehmen. Das befreit uns und die anderen.
 
Verliebtsein berauscht
 
Wer sich frisch verliebt, erlebt im Gehirn einen intensiven Dopaminrausch. Der ist von kurzer Dauer. Wir sind zugleich glücklich und voll quälerischer Selbstzweifel. Wir schweben in den Wolken, wenn wir an die begehrte Person denken. Doch wir entscheiden uns nicht, uns zu verlieben. Es geschieht einfach. Anfangs fühlt sich das freiwillig an. Aber verliebt zu sein, beeinträchtigt unseren Willen. Wer sich verliebt, hofft den anderen zu besitzen und fürchtet sich davor, abgelehnt zu werden. Das steigert auch das Verlangen. Der Buddha lehrte, dass wir leiden, indem wir anhaften. Befreiung entsteht indem wir das Anhaften beenden. Anhaften ist ein aktives, kein passives Verb.
 
Mir ging es so als ich Eva Etta vor gut 30 Jahren kennenlernte. Sie war eine attraktive Frau. Als ich ihre Hand hielt, schoss mein Geist – und ihrer – ins Universum. Wir waren verliebt, berauscht, euphorisch. Sie wohnte in Hamburg, ich in Berlin. Sie wollte kein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Ich ließ mich scheiden. Eine Familie aufzulösen ist schmerzhaft. Acht Monate lang habe ich sie kreativ umworben mit vielerlei Geschichten und Geschenken. Meine Fantasie schien unbändig. Dann habe ich sie mit einem Liebesbrief ins Café des Vier Jahreszeiten mit Blick auf die Alster eingeladen. Ich fand, wir hätten uns in den Monaten so verändert, dass wir es wagen sollten, unsere Liebe zu leben. Sie kam nicht, weil sie den Brief nie erhalten hatte. Alle meine Erwartungen waren enttäuscht. Doch schon als ich ins Auto einstieg, überkam mich das tiefe Gefühl, dass ich selbst die Liebe bin. Ich brauchte sie, um das zu erkennen. So kam ich bei mir an, war glücklich, befreit und ihr tief dankbar, dass sie mein Herz geöffnet hat. Durch das Loslassen habe auch ich ihr Freiheit geschenkt. Zwei Tage später kam Eva Etta nach Berlin und wir lebten unsere große Liebe bis zu ihrem Tod. 
 
Wachsen bedeutet Schmerzen annehmen
 
Alles ändert sich, nichts ist von Dauer. Das ist offensichtlich, aber es fällt uns in Herzensangelegenheiten besonders schwer, das anzunehmen. Die Unbeständigkeit wirft uns immer wieder aus dem Tritt, wir stolpern und fallen. Das hilft uns, unsere Arroganz abzulegen. Die Schmerzen bringen uns ins Leben zurück. Es ist paradox: Wir finden den Halt, indem wir ihn verlieren. Mit uns selbst im Reinen zu sein, kann die Erwartungen, die wir an eine Beziehung stellen, verändern. Wir sind verantwortlich für unser eigenes Glück. Erst dann können wir bedingungslos lieben, wie es unserer wahren Natur entspricht.
 
Anhaften ist die primäre Gewohnheit, mit der sich Meditation befasst
 
Egal ob wir uns in jemanden verlieben oder ob wir uns tief verletzt fühlen – es ist wichtig, dass wir diese Emotion anerkennen. Wir fühlen, was in unserem Herzen los ist. Wenn wir uns darauf konzentrieren, welch anderer Mensch das ausgelöst hat, sind wir nicht bei uns. Wir wachsen, wenn wir uns auf das konzentrieren, was uns bewegt. Dann können wir erkennen, woran wir haften. Eine Aufgabe der Meditation ist es, das Anhaften loszulassen, denn es löst die Unruhe in uns aus. 
Am Montag werden wir die Meditation „Klarheit durch Loslassen“ üben.


Gerald Blomeyer, Berlin im Dezember 2021


Bild (c) Jens Nagels, Dalai Lama mit Eva Etta und Gerald, Schneverdingen 1998

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