Autumn Leaves, Johnny Mercer (nach Les Feuilles Mortes)

The falling leaves drift by my window
The autumn leaves of red and gold
I see your lips the summer kisses
The sunburned hands I used to hold

Since you went away the days grow long
And soon I’ll hear old winter’s song
But I miss you most of all my darling
When autumn leaves start to fall

In dieser Woche fühlte ich mich sentimental, summte melancholische Lieder wie Autumn Leaves. Im Lied erinnert das Herbstlaub an eine alte Liebe. Zwei Menschen, die zusammen waren, trennten sich leise. Nur eine durchsichtige Erinnerung bleibt. Nach dem Aufblühen des Lebens im Frühling, dem Blühen und Wuchern im Sommer, fallen jetzt die Blätter. Die kahlen Äste erinnern uns an die Vergänglichkeit aller Dinge. Wer die Schönheit eines Sonnenaufgangs, des farbigen Herbstwaldes, einer Beziehung, oder der Umarmung eines Kindes genießt, weiß: Bald sind die schönen Augenblicke vorbei. Wenn unser Herz berührt wird, erkennen wir, wie flüchtig diese Welt ist. Der Herbstblues ist da.

Das hat auch physiologische Gründe. Im Herbstlicht schüttet der Körper mehr Melatonin (Schlafhormon) als Serotonin (Glückshormon) aus. Die bulgarische und in New York lebende Schriftstellerin Maria Popowa schreibt: „Jeder gelbe Ausbruch im Blätterdach erinnert daran, dass alles Schöne vergänglich ist. Jedes fallende Blatt ist zugleich ein Requiem auf unsere eigene Sterblichkeit und eine Rhapsodie für das ungebetene Geschenk, gelebt zu haben.“ Aus Licht entsteht Leben. Das Chlorophyll der Blätter fängt Photonen ein und verwandelt sie in Zucker, das Rohmaterial der Blätter, Rinde, Wurzeln und Äste. Wenn das Licht im Herbst schwächer und die Luft kühler wird, bauen Enzyme das grüne Chlorophyll ab und lassen die anderen in gelben, orangenen und roten aufleuchten. „Der Baum ist ein Lichtfänger, der Leben aus der Luft erzeugt,“ kommentiert Popova.

Das Blatt ist auch im Baum

Ein Blatt nährt den Baum monatelang. Die Lebenskraft von Baum und Blättern ist nicht zu trennen. Die Blätter, die im Herbst zu Boden flattern, nähren den Baum in neuer Form weiter. Sie spiegeln die Zyklen der Natur in unserem Leben wider. Werden wir eines Tages ohne diesen Körper in der einen oder anderen Form weiterleben? Der vietnamesische Zenmeister Thich Nhat Hanh regt an, darüber nachzudenken: „Ich werde auch morgen noch da sein. Aber du wirst sehr aufmerksam sein müssen, um mich zu sehen. Ich werde eine Blume sein, oder ein Blatt. Ich werde in diesen Formen sein und werde dich grüßen. Wenn du aufmerksam genug bist, wirst du mich erkennen, und du kannst mich begrüßen. Dann werde ich sehr glücklich sein.“

Der Herbst ist eine Zeit des Loslassens. Was zur Last wird, geben wir frei. Die amerikanische, buddhistische Lehrerin Sharon Salzberg, schreibt in Lovingkindness über die Fähigkeit, loszulassen, zu verzichten, großzügig zu geben: „Diese Fähigkeiten entspringen der gleichen Quelle in uns. Wenn wir Großzügigkeit praktizieren, öffnen wir uns für alle diese befreienden Qualitäten gleichzeitig. Sie führen uns zu einem tiefen Wissen um die Freiheit, und sie sind auch der liebevolle Ausdruck dieses Zustands der Freiheit.“ Der Herbst ist also eine gute Zeit, um unsere Zeit und Talente mit anderen zu teilen.

Der Herbst schenkt der Natur die Reife. Wir ernten den Überfluss. Es ist eine Zeit des Übergangs, eine gute Jahreszeit, um das Gleichgewicht zu finden, das wir brauchen. Der Herbst erinnert uns, wie wichtig es ist, jeden Tag in vollen Zügen zu leben, mutig zu sein und die Welt mit einem offenen Herz zu lieben. Er zeigt uns, dass in jedem Ende ein neuer Anfang liegt. Trauer und Freude begegnen sich. Lasst uns, die Früchte der vergangenen Monate ernten und uns neue Ziele setzen. Am Montagabend werden wir uns in der Meditation Die Absicht machts auf das konzentrieren, was wir jetzt und in der Zukunft erleben wollen.

Gerald Blomeyer, Berlin im November 2021

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