„Nur was ich annehme, kann ich verändern.“ – Carl Gustav Jung
„Nichts ist es wert, daran festzuhalten.“ – Jack Kornfield
„Wenn du das Gefühl hast, dass gerade alles auseinander bricht, bleibe ganz ruhig. Es sortiert sich nur neu.“ – Unbekannt
Manchmal verzweifeln wir. Wir wissen nicht, wie es nach kritischen Lebensereignissen weitergehen soll. Die Auslöser, eine Trennung, ein Unfall oder der Tod eines geliebten Menschen, können völlig unerwartet eintreten. Jeder Verlust kann eine Kette von Belastungen auslösen, die unser inneres Gleichgewicht stören. Wenn alles scheinbar so bleiben würde, wie es ist, will man im schlimmsten Fall nicht weiter leben. Es kostet zu viel Kraft, um alles anzuschauen. Wichtig ist es dann, dass jemand da ist, um uns zu halten. Gemeinsam lässt es sich besser nach Wegen aus der Krise suchen.
Die Angst nicht liebenswert zu sein
„Die Masse der Menschen führt heute ein Leben der stillen Verzweiflung“, zitiert der US-Professor Robert Thurman den Philosophen Henry David Thoreau um 1830. Und: wir verzweifeln noch heute. Wer verzweifelt, kann sich nicht freuen. Wir leiden, weil wir die falsche Sicht der Dinge haben. Mit weniger Unwissenheit und mehr Akzeptanz können wir aber aus der Krise herauskommen. Wir erkennen immer wieder, dass alles vergeht. Nichts können wir festhalten. Um ein gutes Gefühl für uns selbst und für die Welt zu haben, brauchen wir Mitgefühl, um uns mit anderen zu verbinden. Ohne dass es denen gut geht, können wir nicht glücklich sein. „Wir sind nie von den anderen getrennt“, erklärte der Buddha, „sondern immer voneinander abhängig“.
Situationen, in denen wir leiden, gelten im Buddhismus als unsere Lehrer. Wir können unsere Verzweiflung überwinden, indem wir anderen helfen, ihre zu überwinden. Indem wir ihnen mitfühlend begegnen, können wir lernen, die Welt zu umarmen. Indem wir alles, wie es ist, akzeptieren, können wir gelassen bleiben und mit einem offenen Herzen dem „Irrsinn“ begegnen, die sich um uns herum abspielt.
Unsere Feinde lieben
Jemand wird unser Feind, wenn er sich über uns wirklich ärgert. Er denkt, dass er glücklich wäre, wenn er uns loswird oder uns unterdrückt. Doch wer andere unterdrückt, bleibt frustriert. Am besten wäre es, wenn alle Menschen glücklich sind. Nochmals Thurman: „Nirvana ist, wenn man es wirklich genießen kann, mit anderen auf der Welt zu sein. Um anderen Glück zu wünschen, brauchen wir ein Gefühl für unser eigenes Glück. Wir müssen vertrauen, dass unser Glück möglich ist.“ Die Idee, seine Feinde zu lieben, hatten auch Jesus, Buddha und Mohammed und alle großen Lehrer der Menschheit.
Loslassen beginnt, indem wir die Dinge so sehen, wie sie sind. Erst wenn wir unsere Reaktionen auf störende Emotionen erkennen, können wir sie willkommen heißen. Wir haben die Wahl zu verzweifeln oder zu wachsen. Im Buddhismus spricht man von den zwei Realitäten: eine, die vom Alltagsgeschehen und tief verwurzelten emotionalen Mustern beherrscht wird, und eine andere, die frei davon ist. Unsere Probleme sehen wir entweder als eine Gelegenheit zu lernen, oder wir versuchen sie als Bedrohung zu vermeiden. Im Gefühl, dass alles zusammenbricht oder wir uns zurückziehen wollen, können wir erkennen, wo wir feststecken. Die buddhistische Nonne Pema Chödrön schreibt: „Wenn wir lernen, unser Herz zu öffnen, können auch die Menschen, die uns verrückt machen, unsere Lehrer sein.“
Die buddhistische Psychologie sieht störende Emotionen als etwas, das unser klares Bewusstsein und unsere essentielle Güte verdeckt. Sie sind wie die Wolken am Himmel. Lassen wir uns durch sie verwirren, bestimmen sie, wie wir wahrnehmen und handeln. Damit erlauben wir ihnen wiederzukehren und unsere Beziehungen, unsere Arbeit und Selbstsicht zu verkomplizieren. Wer achtsam ist, kann seine emotionalen Fixierungen erkennen. Das nimmt ihnen die Macht. Diese dunklen Momente und beunruhigenden Gefühle laden uns also ein, unsere natürliche Weisheit zu entdecken und zu wachsen, das Unerwünschte in etwas Erwünschtes zu transformieren. Indem wir uns auf die Klarheit des Geistes einlassen, können Feinde zu Freunden werden.
Jeder geht mit Krisen und Schicksalsschlägen anders um. Dem einen fällt es leichter, andere finden keinen Weg, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die psychische Widerstandsfähigkeit, die hilft, Krisen zu bewältigen, heißt Resilienz. Sie schafft Raum für Selbst-Mitgefühl. Indem wir uns wertschätzen, kann die Qual eines gebrochenen Herzens als ein offenes Herz neu erlebt werden. Wer verletzlich ist, kann wirklich empfangen. Um das zu üben, werden wir am Montag die Meditation „Tun und Sein im Gleichgewicht“ üben.
Gerald Blomeyer, Berlin 18. September 2021
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