Buddha sagte, dass alle bewussten Wesen eine erleuchtete Natur besitzen, eine natürliche Reinheit, Friedfertigkeit und Kraft. Wir können den Geist auf natürliche Weise zur Ruhe bringen, weil wir bereits dieser Qualitäten besitzen. Wenn man den Geist auf natürliche Weise zur Ruhe bringen kann, ist das die beste Meditation.“ — Yongey Mingyur Rinpoche

Unser unruhiger Geist sucht ständig neue Ziele oder etwas, was ihn bestätigt. Doch alles so sein zu lassen, wie es ist, fordert ihn heraus. Dabei ist das Seinlassen ein Portal in die Weite des Bewusstseins und in die tiefe Meditation. Jedes Streben, jedes neue Ziel führt uns weg vom Einlassen. Wenn wir auf Dinge oder Menschen fixiert sind, vergessen wir, wie viel Raum eigentlich zwischen uns und diesen äußeren Gegebenheiten liegt.

Beim Einschlafen geben wir uns hin
Seinlassen erleben wir nachts, wenn wir einschlafen. Keiner weiß, wie man einschläft. Wir machen das Licht aus und vertrauen darauf, dass der Schlaf uns holt. Meist tut er das auch. Wie er das macht, wissen wir nicht. Wenn wir morgens aufwachen, setzt das „Ich“, die Selbstwahrnehmung, sofort wieder ein. Beim Einschlafen geben wir uns hin. In diesem Augenblick gibt es kein „Ich“. Wir sind offen, und bereit, uns einzulassen. Es ist eine Gnade, die kommt und uns mitnimmt. Es ist als ob wir an einer Klippe stehen und die Gnade schiebt uns sanft rüber. Es geschieht ohne zu suchen. In der Meditation ist es ähnlich. Wir sitzen wir einfach immer wieder nur da, warten ohne Erwartung und heißen alles, was erscheint willkommen. Auf einmal werden wir genommen und kommen mit diesem „Empfindung“ der Weite und Ruhe zurück.

Gibt es ein Selbst?
Bei der Meditation im Yoga Nidra ist es manchmal so, als ob wir gerade eingeschlafen seien. Jedes Gefühl eines Selbst hat sich aufgelöst, und dann spüren wir, wie beim Aufwachen, wie das Selbst sich wieder zusammensetzt. Es bleibt das Empfinden dessen, wo wir gerade waren. Kehren wir zu schnell in unseren Verstand zurück, können wir diese „Empfindung“ verpassen. Wenn es keine Spur eines Selbst gibt, ist alles anders als das, was wir erleben und genießen. Beim Meditieren lernen wir, unsere angeborene, unveränderliche Freude, unabhängig von den äußeren Umständen, zu erleben.

Buddha war sehr zurückhaltend, wenn er über das sprach, was er entdeckt hatte. Er befürchtete, dass der Verstand des Zuhörers das „Erwachen“ in ein „Objekt“ verwandeln würde. Es sei aber etwas, das jenseits von Materie und Geist liege. Es sei weder von dieser Welt, noch von einer anderen. Weder entstehe noch vergehe noch verweile es. Es sei weder Sterben noch Wiedergeburt, sondern ungeboren und leer, aber gleichzeitig voller Potenzial. Dies sei das Ende des Leidens. Es könne nicht in Worte gefasst werden, weil es kein Konzept, kein Ding sei. Deshalb könnten wir es weder benennen noch darüber sprechen.

In der Meditation „Tun und Sein im Gleichgewicht“ erleben wir zuerst nach einander und dann gleichzeitig, dass wir sowohl mit allem verbunden, als auch ein Individuum sind. Wir lernen, uns zwischen der weiten Offenheit und Verbundenheit zu bewegen – mit allem, was um uns herum ist. Wir lernen, geerdet und fokussiert zu sein. Wir erkennen, dass beide Zustände gleichzeitig da sind, wie die Vorder- und Rückseite einer Münze. Das ermöglicht uns zu jeder Zeit, einen Schritt aus dem Gedankenkarussell in die Weite und Stille zurückzutreten.

Gerald Blomeyer, Berlin, Januar 2021

 

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