Das eine erblüht, das andere vergeht
„Wenn du dich ärgerst, bist du wie ein Mensch, der mit beiden Händen glühende Kohlen oder Mist ergreift, um einen anderen Menschen damit zu schlagen, der aber zuerst sich selbst verbrennt oder beschmutzt.“
– Buddhaghoṣa, der den Buddha interpretiert
Wenn jemand uns schlecht behandelt, betrügt oder verlässt, sind wir verletzt. Wir spüren Verlust und Trauer. Unsere Aufmerksamkeit ist auf den anderen gerichtet. Wir weisen ihm die Schuld zu. Wir bedauern uns, verachten den anderen, weil er uns verletzt hat, oder vielleicht denken wir daran, uns zu rächen. Solche Gedanken verstärken die Erfahrung unseres Verlustes. Empörung und Ärger können so leicht zur Gewohnheit werden. Wenn wir ständig wiederholen, „Mein Ex war ein Arsch“, wird er zum abwertenden Begleitgedanken. Jedes Erinnern schüttet Adrenalin aus, was auf unser Nervensystem wirkt. Wir reagieren emotional und glauben, dass der Begleitgedanke wahr ist. Dann machen wir den Ex für unser Gefühl verantwortlich, ein Opfer zu sein: Sie sind schuld, sie haben unsere Not verursacht. In der Zeit des Trauerns mag das vorübergehend sinnvoll sein, in uns einen sicheren Ort zu schaffen, in dem wir unser Herz mit Groll und Unmut schützen.
Wenn wir uns nicht schützen müssen, können wir uns entspannen, was positiv auf unser Nervensystem wirkt. Vergebung bedeutet weder sich zu versöhnen noch die Handlung zu billigen. In der Vergebung suchen wir den Frieden, die Beleidigungen weniger persönlich zu nehmen. Das ist eine Herausforderung, denn dazu müssen wir bereit sein, uns verletzlich zu fühlen und Verantwortung zu übernehmen. Es fühlt sich besser an und ist gesünder, wenn wir uns mit Güte und Freundlichkeit schützen. Das verändert unser Denken. Der andere war vielleicht ein Auslöser, aber wir sind für unser Leben verantwortlich. Wir sind nicht durch das definiert sind, was wir erlebt haben, sondern durch die Art, wie wir auf den Augenblick reagieren.
Wir fühlen uns gut. Wer sich aber noch besser fühlen will, sollte seine Gewohnheiten und Urteile überprüfen, denn unser Gedächtnis ist trügerisch. Wir machen Annahmen zu Fakten und ersetzen die Komplexität der Realität mit emotionalen Geschichten. Deshalb fällt es uns schwer, alte Verletzungen zu vergeben oder Menschen zu verzeihen, die einem einst geschadet haben. Dabei leiden wir selbst durch dieses Verhalten am meisten. Wer jammert, verliert sich in Selbstmitleid, und kann die Schönheit des Lebens nicht sehen. Niemand wird uns davon abhalten, über unser Leben zu klagen, wenn wir nicht selber aufhören wollen. Wenn wir annehmen, dass Leben weh tut, zeigen wir uns demütig und mitfühlend. Weich und verletzlich zu sein, bedeutet, den Schutzpanzer um das Herz aufzugeben. Loslassen geschieht, indem wir jemanden vergeben. Wenn wir die alten Geschichten aus einer neuen Perspektive zulassen, verwandeln wir sie durch Liebe.
In der Meditation achten wir darauf, wie diese Selbstwahrnehmung immer wieder neu entsteht. Wenn wir im Bewusstsein ruhen, fürchten und sorgen wir uns nicht. Im Buddhismus übt man Mitgefühl, um solche Blockaden aufzulösen. In der unendlichen Kraft des Bewusstseins können wir alles willkommen heißen. Indem wir verzeihen, lassen wir unser festes Selbstbild los, das Emotionen entfacht, die viel Willenskraft binden. Wir lassen uns auf die Welt der Liebe ein, um entspannt mit Selbstvertrauen und Willenskraft zu handeln.
Gerald Blomeyer, Berlin 13.12.2020