Re-Vision, um unsere Erinnerungen neu zu sehen
Wir fühlen uns wohl, wenn alles so läuft, wie wir es wollen. Doch das Leben verläuft nicht linear, und wir wissen nie, was als nächstes geschehen wird. Alles kommt – und alles geht. Dies ist der Keim für Frustration. Immer funktioniert etwas nicht. Wir fühlen wir uns unzulänglich und unzufrieden. Unser Leben entfaltet sich selten so, wie wir es uns wünschen, und deshalb müssen wir immer wieder auf Unvorhergesehenes reagieren. Diese Erkenntnis zeigt, dass wir nicht durch das definiert sind, was wir erlebt haben, sondern wie wir auf den Augenblick reagieren. Um zufrieden und erfüllt zu sein, müssen wir nach innen und nicht nach außen schauen. Wie der Dalai Lama sagt: „Wenn der Geist diszipliniert und ruhig ist, führt dies zu Glück und Freude; wenn der Geist undiszipliniert ist, führt dies zu Leid und Schmerz.“
Wenn wir glücklich sind, ist unser Herz offen und wenn wir unglücklich sind, uns beschweren oder jammern, schließt sich unser Herz. Selbst in schwierigen Situationen haben wir die Wahl, ob wir das Leben so akzeptieren, wie es ist, oder nicht. Das beginnt bei Kleinigkeiten. Wir ärgern uns über den Paketboten, der nicht liefert, obwohl wir zuhause sind, oder über ein Auto, das vor uns zu langsam fährt. Indem wir reagieren, investieren wir Energie, die uns innerlich aufwühlt, aber die Situation nicht ändert. Wir spüren unser Ego und stellen uns über den anderen. „Ich habe Recht“ bezeichnet einen Konfliktmodus, der unser Weltbild aufrecht erhält, um uns vor Unbehagen zu schützen.
Wenn wir spüren, wo im Körper der Ärger entsteht, können wir ihn loslassen. Indem wir uns entspannen und der Störung erlauben, einfach da zu sein, kann sie sich auflösen. Wer sich überfordert fühlt, versucht die Herausforderung zu vermeiden. Wir unterdrücken sie und lagern die Unzufriedenheit im Körper ein, im schlimmsten Fall als Trauma.
Im Buddhismus übt man Mitgefühl, um solche Blockaden aufzulösen. In der unendlichen Kraft des Bewusstseins können wir alles willkommen heißen. Da ist die Weisheit, dass alles kommt und geht und von unendlichem Mitgefühl durchdrungen ist. Einerseits lassen wir unser festes Selbstbild los, das Hass oder der Wut empfindet, oder Emotionen entfacht, die viel Willenskraft binden. Andererseits lassen wir uns auf ein Gefühl des Bewusstseins ein, um entspannt mit Selbstvertrauen und Willenskraft zu handeln. Selbstvertrauen ist wichtig, aber das Ego, das die Rechte des anderen missachtet, ist hinderlich. Mit anderen Worten, eine egoistische Haltung, die auf Unwissenheit beruht, führt zu Konflikten. Eine selbstbewusste, offene, liebevolle Einstellung, ist hingegen positiv. Der Feind, dem gegenüber wir bittere Gefühle hegen, ist der beste Lehrer, denn er hilft uns Toleranz und Geduld zu entwickeln. Dies ist der Weg, um unendliche Güte und Altruismus gegenüber allen fühlenden Wesen zu entwickeln.
Das sagt sich leicht. Aber es braucht Übung. Im Buddhismus stellt man sich vor, dass der Prozess des Lebens durchlässig ist. Wenn wir unsere Erfahrungen als Erinnerungen aufsteigen lassen, wirken sie auf uns wie ein Traum. In der Meditation am Montagabend werden wir uns an den Tag erinnern. Wir werden sehen, dass alles was wir erlebt haben, auch das „Ich“, sich ständig ändert, also flüchtig, ist. Jede Erfahrung, die zu einer Erinnerung wird, erscheint uns unwirklich zu sein. Unsere negative Reaktionen lassen sich mit Mitgefühl (Licht und Liebe) transformieren. Wir stellen uns vor, dass es so war, wie wir es uns gewünscht haben, und erleben in der Re-Vision einen Tag voller Glück.
Gerald Blomeyer, Berlin, 22.11.2020