Persönliche Grenzen sorgen dafür, dass wir nicht überfordert werden, wenn man uns schlecht behandelt oder ausnutzen will. Grenzen machen uns selbstbewusst. Wenn eine Grenze überschritten wird, spüren wir, dass unser Herz rast, wir fühlen uns eng und haben ein flaues Gefühl im Bauch. Unsere Intuition sagt: „Hier stimmt was nicht.“ Wir können die Grenze dann mit Entschiedenheit sichern: „Bis hierher und nicht weiter“. Der Dalai Lama spricht dabei von „mitfühlender Wut“ oder „zornvollen Mitgefühl“: „Wut hilft uns, Kräfte abzuwehren, die unserem Überleben und Wohlergehen abträglich sind. Es ist ganz natürlich, dass Bedürfnisse nach Distanz und Eigenverantwortlichkeit und Gefühle wie auch Wut aufkommen.“ (Die Zitate stammen aus dem Büchlein „Be Angry“ (2019) vom Dalai Lama.)

Für den Dalai Lama beruht der Erfolg von fast allem auf Selbstvertrauen und friedlicher Entschlossenheit. Selbstvertrauen entsteht aus Warmherzigkeit, aus großzügigen Denken und Fürsorge um andere. „Liebe schafft Selbstvertrauen. Zorn schafft Angst.“ Mit Wut mögen wir auf ungerechte Situationen reagieren. Das ist eine gesunde Reaktion. Die Wut gibt uns die Kraft, entschlossen zu handeln. Wir sollten sie spüren, bis die Ungerechtigkeit beseitigt ist. Und hier das Problem: „Wenn die Wut aber über diese praktische Funktion hinausgeht, ist der größte Teil der Energie, die sie uns bringt, überhaupt nicht hilfreich.“

„Zornvolles Mitgefühl“ ist positiv, denn „Leiden sollte uns wütend machen.“ Wenn sie aus Mitgefühl entsteht, gibt sie uns die Kraft soziale Ungerechtigkeit zu korrigieren, und niemandem zu schaden. „Die tiefe Motivation ist das Mitgefühl, das den Zorn nutzt, um das Ziel zu erreichen.“ Aus Hass zu handeln, macht die Wut destruktiv und negativ. Handeln wir jedoch, weil wir um das Wohl anderer Person besorgt sind, führt diese Art der Wut zu richtigen Handlungen und zu sozialem Wandel. „Wenn eine ungerechte Situation eine starke Reaktion erfordert, wie im Fall der Apartheid, verlangt das Mitgefühl nicht, dass wir die Ungerechtigkeit akzeptieren, sondern dass wir dagegen Stellung beziehen. Ein solcher Standpunkt allerdings sollte gewaltfrei sein.“

„Zornvolles Mitgefühl“ setzt Grenzen gegen Unrecht und Unterdrückung. Es zeigt Widerstand, ist heftig, kraftvoll und wahrhaftig. Zornvolles Mitgefühl macht uns sichtbar. Wir wehren uns, um Schaden von uns und anderen abzuwenden. Im Kampf gegen Rassismus oder die „Me too“-Bewegung solidarisieren sich Frauen und Männer, die ein ähnliches Trauma erlebt haben, gegen die bestehenden Systeme. Dieses befähigt Betroffene gemeinsam im Namen der Liebe zu handeln.

Statt unsere Wut zu verdrängen, grenzen wir uns ab, indem wir beschreiben, wie wir uns fühlen. „Ich bin enttäuscht, weil …“ Das schafft Raum und lädt den Partner ein, ehrlich und ähnlich verletzlich zu reagieren. Sich verletzlich zu machen, erfordert Mut. Es mag sich zunächst unangenehm anfühlen, doch es lädt unser Gegenüber ein, die eigenen Gefühle zu offenbaren. Daran wachsen wir. „Schwierige Zeiten,“ sagt der Dalai Lama, „lassen uns Entschlossenheit und innere Stärke entwickeln.“

Bild 2012 (c) Neal Watkins

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