Wut ist ein Geschenk

Ein Buch von Arun Gandhi
Besprechung erschienen bei Netzwerk Ethik heute – Portal für Ethik und Achtsamkeit

Arun Gandhi, der Enkel Mahatma Gandhis, kommt als 12-Jähriger für zwei Jahre in die Obhut seines Großvaters. In diesem Buch teilt er, was dieser ihn lehrte: den Umgang mit starken Emotionen wie Wut und Depression und den gewaltlosen Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Ein hochaktuelles Buch.

Warum gibt es so viel Negativität in der Welt? Wie soll ich damit umgehen? Der Gandhi-Enkel Arun Gandhi beantwortet dies in seinem Buch. Er teilt die Lektionen, die er von Mahatma Gandhi persönlich empfangen hat. Nicht alles lässt sich auf unsere Realität übertragen, vieles schon.

Der Autor berichtet, wie schwer es ihm fiel, all die guten Ratschläge zu befolgen. Gemeinsam mit ihm durchdringt der Leser Themen zum Umgang mit Wut und Depression, zu Identität, Verschwendung, Einsamkeit, Freundschaft und Familie. Die anschaulichen Beispiele regen an, über sich selber nachzudenken. Das kommt gut an: Das Buch war für viele Monate als Sachbuch auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Arun Gandhi, 1934 geboren, wuchs in Südafrika auf. Als Junge indischer Abstammung war er weder bei weißen noch bei schwarzen Kindern akzeptiert. Rassismus und Ungerechtigkeit machten ihn verzweifelt und wütend. Als er zwölf Jahre alt war, brachten ihn seine Eltern nach Indien in den Aschram seines Großvaters. Sie hofften, dass der Mahatma ihn von seiner Wut heilen könnte.

Zwei Jahre lang blieb Arun Gandhi da, bis er im Dezember 1947 nach Hause zurückkehrte. Nur einen Monat später wurde Gandhi ermordet, eine Tragödie, die auch Arun schwer erschütterte.

Wut als Treibstoff für Veränderungen

Aruns Zorn hat sich durch die Führung von Mahatma Gandhi verändert. Dieser sah Ärger als etwas Positives, als Treibstoff für Veränderungen: „Wut ist die Energie, die uns zwingt zu definieren, was gerecht ist und was ungerecht.“ Doch oft habe die Wut die „richtige Richtung“ noch nicht gefunden, um Gutes zu bewirken. Sie dürfe aber niemals unterdrückt oder weg-therapiert werden.

Auch Gandhi machten Krieg, Unrecht oder Hunger wütend. Sein Enkel sollte lernen, dass es darum ging, die Kontrolle über diese starke Emotion zu übernehmen. Meditieren hat dabei geholfen.

Gandhi nahm sich täglich eine Stunde, um mit Arun zu plaudern und Baumwolle zu spinnen. Die Mischung aus Strenge, Warmherzigkeit und Humor dem Jungen die Möglichkeit, sich zu beweisen und Selbstvertrauen zu entwickeln. Er lernte, wie er seine Schwächen überwinden, seine Emotionen und seine Meinung ausdrücken könnte.

Statt sich anzupassen, um Zustimmung zu erreichen, tritt Arun wie sein Großvater bedingungslos für die Dinge ein, die er für richtig und gerecht hält. Das Buch regt dazu an, sich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren und beim Protest gegen Unrecht nie locker zu lassen. Toleranz sei nicht nur unangemessen, sondern entfremdend. „Es gibt nichts Herablassenderes, als jemanden zu tolerieren.“

Arun erzählt auch, wie sein Großvater liebevoll und pädagogisch geschickt auf seine Lügen, seine Verschwendung oder seinen Hochmut reagierte. So inspiriert das Buch die Leserinnen und Leser, selbst moralisch zu reifen.

Gewaltfreier Protest – das Mittel der Wahl

Als Erwachsender heiratete Arun und arbeitete 30 Jahre lang als Journalist der Times of India in Mumbai. Mit seiner Frau Sunanda organisierte er die Adoptionen für mehr als 100 verlassenen indischen Kinder im Ausland. 1987 emigrierten sie in die USA und eröffneten 1991 das MK Gandhi Institute for Nonviolence an der Universität von Rochester im Staate New York. Doch wegen seiner Kritik am Militarismus Israels zwang man ihn 2008, das Institut zu verlassen.

Mahatma Gandhi hat mit seiner Lehre die Welt verändert. Seine Idee des Widerstands durch zivilen Ungehorsam und Gewaltlosigkeit haben Tausende, darunter Martin Luther King und Nelson Mandela, inspiriert. Das Buch lässt aus vielfältigen Erinnerungen und den sorgsam bewahrten Anekdoten ein neues Bild des großen Mahatma entstehen. Das Vermächtnis an seinen Enkelsohn kann uns allen Orientierung geben in diesen schwierigen Zeiten. Wegweisend für ihn ist Gandhis berühmte Forderung: „Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“

Im letzten Kapitel wagt Arun Gandhi die Vermutung, dass sein Großvater auch heute auf Terror, Trump oder die Spaltung der Gesellschaft mit gewaltfreiem Protest und der Einladung zum Dialog reagiert hätte.

Gerald Blomeyer

Arun Gandhi. Wut ist ein Geschenk. Das Vermächtnis meines Großvaters Mahatma Gandhi. Aus dem Englischen von Alissa Walser. 224 Seiten, Dumont 2017, 20,00 €

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